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Ressourcenaktivierung: Methoden und Fragetechniken

Vielen Menschen fällt es schwer, sich ihrer Ressourcen bewusst zu werden und diese zu aktivieren – selbst im Rahmen einer Psychotherapie. Verstärkt wird das dadurch, dass in den meisten Psychotherapieschulen und Behandlungen Probleme und Schwierigkeiten oft eher störungs- oder defizitorientiert ausgelegt und angegangen werden. Indem Ressourcen und eine Lösungsorientierung in den Fokus rücken, kann jedoch eine auf Gesundheit fokussierte (salutogene) Sichtweise gefördert und die Resilienz von Patient:innen gestärkt werden.1 In diesem Artikel beschäftigen wir uns mit der Frage, was genau mit Ressourcen in der Psychologie und Beratung gemeint ist und wie Ressourcenaktivierung im Praxisalltag aussehen kann.

Was versteht man unter Ressourcen?

Im Allgemeinen wird eine Ressource als ein Mittel bezeichnet, das es ermöglicht, eine Handlung zu tätigen oder einen Vorgang ablaufen zu lassen. Während damit in der Wirtschaft Geldmittel, Rohstoffen, Energie oder Arbeitszeit gemeint sind, bezeichnen Ressourcen in der Psychologie alles, was ein:e Patient:in als hilfreich und wertvoll erlebt und zur Befriedigung körperlicher und psychischer Grundbedürfnisse beiträgt.1 Psychotherapeutisch gesehen sind Ressourcen Potenziale eines Menschen. Sie umfassen beispielsweise Fähigkeiten, Charaktereigenschaften, Kompetenzen, positive Erinnerungen und Erfahrungen, Fertigkeiten und Kenntnisse, Neigungen und Stärken.1 

Ressourcen können als Schutzfaktoren angesehen werden, die Menschen zur Verfügung haben, um Belastungen zu ertragen, Lebensaufgaben zu bewältigen, Ziele zu erreichen und das Wohlbefinden zu fördern.1 

Warum werden Ressourcen im Alltag häufig übersehen?

Grundsätzlich verfügen alle Menschen über Ressourcen. Viele sind sich jedoch nur eines Bruchteils ihrer Ressourcen bewusst und in verschiedenen Fällen und Situationen kann es vorkommen, dass Personen nicht auf ihre Ressourcen im Sinne von Fertigkeiten, Fähigkeiten, Erfahrungen zugreifen können. Ob jemand etwas als Ressource wahrnehmen und diese entsprechend nutzen kann, ist abhängig davon, wie die Person ihre subjektive Wirklichkeit wahrnimmt. 

Wir Menschen organisieren unser Leben rund um Geschichten unserer Wirklichkeit. Was wir über uns wissen, was wir über uns denken, welche Überzeugungen wir über unsere Fähigkeiten, Begabungen und Defizite haben – all das setzt sich aus unzähligen kleinen und großen Geschichten zusammen, die wir und unsere Umwelt uns erzählt haben. Welches Leben wir führen, welche Ressourcen wir uns zuschreiben und welche Potenziale wir sehen, hängt maßgeblich davon ab, mit welchen Glaubenssätzen und Verzerrungen wir unsere Wirklichkeit wahrnehmen und welchen Geschichten wir Bedeutung geben.2 Dies kann dazu führen, dass wir verschiedene Potenziale zwar besitzen, aber nur wenig nutzen. 

Wozu ist Ressourcenarbeit gut?

Ziel der psychotherapeutischen Ressourcenaktivierung ist es, bekannte Ressourcen zu stärken, vergessene Ressourcen hervorzuholen und neue Ressourcen zu entdecken. Die Ressourcenaktivierung wurde ursprünglich in der Gruppentherapie konzipiert. Dabei sollte anstatt Defizite und Diagnosen in den Vordergrund zu stellen, eine auf die Gesundheit fokussierte (salutogene) Sichtweise in den Gruppenprozessen genutzt werden. Dies ermöglichte es Teilnehmenden, sich in der Gruppe als mehr als ihr Defizit zu zeigen und sich dadurch selbstwirksamer zu erleben.2 

Ressourcenaktivierung hat verschiedene positive Effekte in der Psychotherapie:

1Vermittlung von Zuversicht und Hoffnung

Das (Wieder-)Entdecken von Ressourcen kann Patient:innen dabei unterstützen, trotz aktuell erschwerter Lebensbedingungen Zuversicht auf eine Veränderung ihrer Lebenssituation zu entwickeln.1

2Selbstwirksamkeitserleben

Durch das Aktivieren von Ressourcen sollen Patient:innen die Überzeugung entwickeln, Problemsituationen mit ihren eigenen Fähigkeiten und Mitteln beeinflussen und kontrollieren zu können.1

3Perspektivwechsel

Ressourcenaktivierung kann dabei unterstützen, Bewegung in starre Denkmuster zu bringen. Dabei soll ein Wandel vom problemorientierten Denken hin zu lösungsorientierten Mustern stattfinden. Patient:innen sollen außerdem erkennen, dass die eigene Art, die Welt anzuschauen, nicht die einzig denkbare, richtige oder endgültige ist.1

4Erhalt und Wiederherstellung von Gesundheit

Nach dem Konzept der Salutogenese stellen Ressourcen einen maßgeblichen Faktor dar, um die psychische (und auch physische) Gesundheit zu beeinflussen, zu erhalten und wiederherzustellen.1

Wie sieht Ressourcenaktivierung in der Psychotherapie aus?

In einer Psychotherapie wird davon ausgegangen, dass jede Person – ganz gleich mit welchen inneren oder äußeren Schwierigkeiten sie zu tun hat – Ressourcen besitzt. Selbst kleine, für die Patient:innen erst mal unsichtbare Faktoren können einen Hinweis auf Ressourcen geben – schließlich lebt die Person im Rahmen ihrer aktuellen Möglichkeiten ihr Leben und hat es geschafft, einen Psychotherapieplatz zu suchen sowie zu den Terminen zu erscheinen. 

Innerhalb der Therapie (oder der Beratung) können Ressourcen als Kraftquellen dienen und so den Veränderungs- oder Heilungsprozess fördern. Ressourcenaktivierung kann durch verschiedene Techniken erfolgen. Ziel ist es, das Bewusstsein für Ressourcen zu schulen und diese fester im Bewusstsein zu verankern. Sind Ressourcen aktiviert und gestärkt, dann sind sie auch in relevanten Situationen schneller und automatischer abrufbar. Durch Ressourcenaktivierung wird der Zugang zu persönlichen Ressourcen erleichtert und die Resilienz gestärkt.1  

Ressourcenorientierte Fragetechniken

Das Suchen und Bewusstmachen von Ressourcen kann durch bestimmte Fragetechniken erfolgen. Dabei liegt der Fokus nicht auf der Frage, was den Patient:innen bisher Schlimmes widerfahren ist, sondern eher darauf, wie sie mit Belastungen bisher fertig geworden sind und was helfen kann, in Zukunft noch besser damit umzugehen. Ganz nach dem Konzept des Konstruktivismus soll eine persönliche Konstruktion von Möglichkeiten erfolgen.1 

1Direkte Frage nach Ressourcen

„Was machen Sie gerne, was macht Ihnen Spaß? Gibt es einen Lebensbereich, in dem Sie sich wohl und kompetent fühlen? Was gelingt Ihnen? Was müssen Sie tun, um mehr davon zu machen? Was in Ihrem Leben soll so bleiben, wie es ist?”

2Wunderfragen

„Stellen Sie sich vor, Sie gehen heute zu Bett und wie durch ein Wunder löst sich in der Nacht Ihr Problem auf. Woran würden Sie am nächsten Tag merken, dass dieses Wunder geschehen ist? Was wäre anders?” 

Die Wunderfrage aktiviert und lenkt die Fantasie in Richtung Lösungs- bzw. Zielvision. Patient:innen können feststellen, dass das, was man nach dem Wunder tun würde, gar nichts Übernatürliches ist, sondern schlichte, handfeste Tätigkeiten. 

3Zirkuläre Fragen

„Was würde Ihre Frau sagen, was Sie besonders gut können?” 

Bei zirkulären Fragen wird der Patient oder die Patientin ermuntert, einen anderen Blickwinkel einzunehmen, indem eine Außenperspektive eingebracht wird. Das ermöglicht einen Perspektivwechsel, indem die Sichtweise einer eng verbundenen Person eingenommen wird.

4Fragen nach Ausnahmen

„Wann ist das Problem nicht da oder weniger stark? Was haben Sie in diesen Zeiten anders gemacht?” 

Die Frage nach Ausnahmen lenkt die Aufmerksamkeit sofort auf bereits erfahrene Lösungen, Ressourcen und Kompetenzen.

Übungen zur Ressourcenaktivierung

Es gibt viele verschiedene Übungen und Geschichten, die Sie zur Ressourcenaktivierung nutzen können. Bei manchen handelt es sich um kürzere Interventionen, andere beanspruchen mehr Zeit. Wir haben für Sie zwei Übungen herausgesucht, die Sie in Ihren Therapiegesprächen nutzen können. 

Übung

Eine Handvoll Ressourcen

„Setzen Sie sich bequem hin und schließen Sie die Augen. Lassen Sie nun in Gedanken die letzten 60 Minuten Revue passieren. Welche schönen Momente haben Sie erlebt? Welche positiven Gefühle hatten Sie? Zählen Sie nun mit der Hand: Finden Sie für jeden Finger einen positiven Moment, egal wie groß oder klein er war. Zeichnen Sie Ihre Hand als Umriss auf ein Blatt Papier und notieren Sie die positiven Aspekte für jeden Finger.” (aus Deubner-Böhme & Deppe-Schmitz, 2018)3

Übung

Das Lebensflussmodell

Im sogenannten Lebensfluss visualisiert der Patient oder die Klientin die eigene Lebensgeschichte und kann durch die entstehende Metaebene einen Perspektivwechsel erfahren. Leiten Sie Ihren:Ihre Patient:in an, mithilfe eines Seils den eigenen Lebensfluss auszulegen. Die gegenwärtige Krise wird als Kurve im Seil geformt und mithilfe eines Gegenstandes oder Zettels als Jetzt markiert. Der Patient oder die Patientin betrachtet nun den Lebensfluss aus der Vogelperspektive und kann erkennen, dass die gegenwärtige, schwierige Zeit nur ein Teilstück des langen Flusses ist. Es gibt ein davor und danach. Bereits hier können Ressourcen erkannt werden: „Welche positiven Erfahrungen aus der Vergangenheit können helfen, dorthin zu kommen, wo die Flusskurve wieder ansteigt? Was hat in der Vergangenheit in Krisen geholfen?”

Als nächstes leiten Sie Ihren Patienten oder Ihre Patientin an, den Zeitpunkt Geschafft zu markieren. Dies symbolisiert die Stelle, an der die Krise überstanden ist. Leiten Sie Ihre:n Klient:in an, in kleinen Schritten vom Jetzt– zum Geschafft-Punkt zu gehen: „Wie ist es dort anzukommen? Welche Bilder haben Sie vor Augen, wenn Sie es geschafft haben? Was sagen Sie zu sich selbst? Was sagen andere zu Ihnen? Wie fühlen Sie sich?”

Der nächste Punkt, der am Seil gelegt wird, ist Futur II. Die Krise ist sehr lange vorbei, man kann sie mit zeitlichem Abstand ruhig und entspannt betrachten. Leiten Sie ihre:n Klient:in wieder an, weiter in Richtung Zukunft zum Punkt Futur II zu gehen. Dort angekommen, fragen Sie: „Wie ist es hier? Wie ist es, von Futur II auf das Jetzt zurückzublicken? Gibt es etwas, das Sie aus dieser Situation heraus Ihrem Jetzt-Ich mitteilen oder raten möchten? Gibt es eine Botschaft, die Sie ihm/ihr senden möchten?” Mit dieser Botschaft kann der:die Klient:in nun zurück ins Jetzt gehen. Und sich von dort überlegen, was der bedeutsamste Schritt auf dem Weg zum Geschafft ist. Welche zusätzlichen Schritte nötig sind. Was oder wer gibt ihm oder ihr Kraft, diese Schritte zu gehen? Wer kann dabei unterstützen?

Ressourcenaktivierung bei HelloBetter

Auch in den Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) von HelloBetter spielt die Ressourcenaktivierung eine entscheidende Rolle zur Stärkung des Selbstwirksamkeitserlebens der Teilnehmenden. So wird in allen DiGA die Wunderfrage als Element genutzt, um persönliche Ziele und Ressourcen aufzudecken. Durch die Einführung kraftgebender Aktivitäten (Kraftgeber), die regelmäßige Erinnerung an diese und die gezielte Planung des Einsatzes von Kraftgebern werden die Teilnehmenden darin geschult, diese fortlaufend in ihren Alltag einzuplanen. 

Außerdem finden sich je nach Störungsbild weitere Übungen zur Ressourcenaktivierung in den DiGA. Ein zentraler Aspekt des Online-Therapieprogramms HelloBetter chronischer Schmerz ist beispielsweise die Unterstützung der Teilnehmenden bei der Reflexion ihres Selbstbildes, ihrer Eigenschaften und Selbstannahmen. Sie reflektieren dabei, wer sie neben den Schmerzen noch sind oder sein möchten, lernen, die „Ich-kann-nicht”-Mauer zu überwinden, das Positive zu sehen und ihre Ressourcen neben den Schmerzen zu aktivieren und zu stärken. 

In anderen Online-Therapieprogrammen von HelloBetter wird neben den bereits erwähnten Techniken auch ein Dankbarkeitstagebuch eingesetzt, um täglich auch die kleinen positiven Momente als Ressourcen festzuhalten. Darüber hinaus werden mithilfe des Vulnerabilitäts-Stress-Modells gezielt Ressourcen gesucht und gestärkt, um positive Aktivitäten in den Alltag zu integrieren und die Positivspirale in Gang zu setzen.

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  • Quellennachweis
    1. T. Gruber (2020). Therapie-Tools: Ressourcenaktivierung. Beltz-Verlag. 1. Auflage.
    2. Sydow, von K.; Borst, U. (2018). Systemische Therapie in der Praxis. Beltz-Verlag. 1. Auflage. Kapitel 12: Ressourcenaktivierung und positive Umdeutung.
    3. Deubner-Böhme, M.; Deppe-Schmitz, U. (2018). Coaching mit Ressourcenaktivierung. Hogrefe Verlag; 1. Auflage 2018.
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