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DiGA in der Hausarztpraxis – ein Interview mit Fachärztin Bibiana Bauer

Wie können Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) in der Hausarztpraxis eingesetzt werden? Bibiane Bauer ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und berichtet im Fachinterview von den Herausforderungen des Praxisalltags und welche Vorteile die Nutzung von DiGA ihr und ihren Patient:innen bringen. Außerdem zeigt sie ganz praktisch anhand eines Fallbeispiels, wie sie DiGA in ihrem Praxisalltag einsetzt. 

Frau Bauer, Sie sind Fachärztin für Allgemeinmedizin und in einer hausärztlichen Praxis in Hessen tätig. Uns würde interessieren, was Ihre Herausforderungen im Praxisalltag sind, vielleicht auch im Hinblick auf psychische Erkrankungen.

Bibiana Bauer: Die Hauptprobleme, die wir im Moment in der Praxis haben, sind die zunehmende Bürokratie und Dokumentationslast sowie mangelnde Digitalisierung im Gesundheitswesen. Es gibt immer mehr Verwaltung, gleichzeitig haben wir noch nicht wirklich die Entlastung durch E-Rezepte und Digitalisierung in der Praxis gespürt. 

Der Ansturm der Patienten, auch gerade der psychiatrischen Patienten, rührt hauptsächlich dadurch, dass wir sowohl eine fachärztliche als auch eine psychotherapeutische Unterversorgung haben und es für die Patienten extrem schwierig ist, an Plätze zu kommen. Das wiederum müssen wir als Hausärzte auffangen. HelloBetter ist da eine Entlastung, weil ich darüber die initiale psychotherapeutische Behandlung bekomme, die ich mir für meine Patienten wünsche.

Sie setzen digitale Gesundheitsanwendungen also für Betroffene ein, die sich eine Behandlung wünschen, aber keinen Therapieplatz bekommen. Gab es noch andere Gründe für Sie, digitale Gesundheitsanwendungen einzusetzen, als Sie davon erfahren und sich informiert haben?

Bibiana Bauer: Ich habe schon viel über digitale Gesundheitsanwendungen gelesen und ich fand das Thema, wie man Patienten ambulant noch weiter unterstützen kann, schon immer sehr spannend. Ich habe eine tolle Beraterin von HelloBetter vor Ort, welche mir das Portfolio nahe gebracht hat, indem sie mir auch Testzugänge bereitgestellt hat. Ich konnte die DiGA dadurch ausprobieren und mich von den Produkten selbst überzeugen, wodurch ich sie auch meinen Patienten sehr gut rüberbringen kann.

Als Hausärztin ist es kein schönes Gefühl, wenn man Patienten hat, denen man helfen möchte, aber keine Möglichkeit hat, sie unter zu bekommen. Ich habe Patienten, bei denen die Depression, die Ängste, die Sorgen, der Stress und das Burnout noch nicht so gravierend sind, dass die Patienten wirklich eine psychiatrische Medikation brauchen und bei denen eine psychotherapeutische Behandlung indiziert wäre. HelloBetter hat mir die Türen dazu geöffnet, meinen Patienten in einer anderen Weise helfen zu können und sie besser an mich zu binden.

Vielleicht können Sie das „an sich binden” noch etwas erklären. Es würde mich interessieren, wie Sie dabei vorgehen.

Bibiana Bauer: Das funktioniert für mich in zwei Schritten. Im ersten Schritt erkläre ich den Patienten mithilfe der Testzugänge, was das für ein Therapieprogramm ist, wie es aussieht, was es mit ihnen macht und was sie lernen können. Zum Beispiel erkläre ich bei HelloBetter Stress und Burnout, was problemorientierte Stressbewältigung ist, was eine emotional-bedingte Stressbewältigung ist und was die DiGA macht. Wenn die Patienten verstehen, wie die DiGA funktioniert, sind Ängste und Hemmungen ein wenig gelöst und die Patienten haben mehr Vertrauen darin, dass da eine Ärztin sitzt, die wirklich Ahnung davon hat und nicht einfach irgendwas verschreibt, um sie loszuwerden. Das ist für mich der erste Schritt der Bindung. 

Der zweite Schritt der Bindung ist, dass ich Patienten bitte, Therapieverlaufsberichte erstellen zu lassen, die ich lesen darf und nutzen kann, um mit den Patienten darüber zu sprechen. Ich möchte sehen, ob es einen Fortschritt gibt. Ich bitte die Patienten auch, mir ein Feedback zu geben, weil es ja möglich sein kann, dass sich irgendjemand durch die DiGA nicht abgeholt fühlt. In dem Fall möchte ich natürlich wissen, warum. Der nächste Schritt der Bindung entsteht dadurch, dass wir Kontrolltermine vereinbaren, in die wir die DiGA mit einbeziehen und ich mir das Feedback einhole, wie es den Patienten geht und wie der Therapieerfolg ist.

Viele Ärztinnen und Ärzte berichten, dass sie es schwierig finden, Zeit für die Folgetermine zu finden oder diese abzurechnen. Wie ist Ihre Erfahrung damit?

Bibiana Bauer: Schwierig. Es ist in der Tat so, dass wir Ärzte an der Belastungsgrenze sind, weil wir das Leid unserer Patienten sehen und ihnen etwas geben wollen und auch die Kontrolltermine vergeben möchten. Aber es ist einfach unmenschlich, was in den allgemeinmedizinischen Praxen im Moment abläuft, weil wir keine fachärztliche und psychotherapeutische Unterstützung haben.

Das kann ich gut nachvollziehen. Sie haben gesagt, dass Sie Ihre Patientinnen und Patienten nochmal einbestellen und aufklären. Das klingt nach etwas mehr Arbeit für Sie. Erleben Sie denn dafür eine Entlastung an anderen Stellen?

Bibiana Bauer: Ja. Gerade durch HelloBetter merke ich, dass die Abstände der Kontrollen etwas größer werden und dass sich die Patienten nicht ganz so alleine fühlen. Am Anfang bestelle ich meine Patienten alle zwei Wochen ein. Wenn ich weiß, dass sie von der Krankenkassen den Zugangscode erhalten haben, ziehe ich die Abstände ein bisschen, weil ich weiß, dass die Patienten nicht alleine sind. 

Auch der Aspekt, dass bei HelloBetter Psychotherapeuten im Hintergrund sind, die man bei Fragen kontaktieren kann, entlastet mich, weil ich weiß, dass meine Patienten jederzeit eine Ansprechperson haben.

Sie haben bereits ein paar Vorteile genannt, aber vielleicht können Sie noch einmal die Vorteile für Sie als Ärztin und Praxisinhaberin erläutern.

Bibiana Bauer: Für mich ist ein Vorteil, dass ich eine ambulante Therapie starten kann.

Es entlastet mich, dass die Patienten etwas an der Hand haben und nicht alleine gelassen werden. Eine weitere Entlastung ist, dass ich Therapieverlaufsberichte bekomme und ich die Adhärenz dadurch kontrollieren kann. Dass ich ein Feedback erhalte, wie es wirklich umgesetzt wurde, habe ich sonst bei keinem Medikament.

Ich weiß dadurch genau, wie viele Sitzungen bereits durchgeführt wurden. Dadurch habe ich ein wenig Kontrolle und einen guten Gesprächsbeginn, weil man nicht gleich in die Tiefe gehen muss, sondern erst mal fragt, wie es mit der DiGA läuft und was ihnen daran gefällt. Von da aus kann man tiefer gehen und herausfinden, was die wirklichen Probleme sind.

Neben den Vorteilen für Sie als Ärztin, was sind die Vorteile für Ihre Patientinnen und Patienten?

Bibiana Bauer: Für die Patienten von Vorteil ist, dass sie mit dem Flyer von HelloBetter wirklich etwas in der Hand haben, wenn sie aus meiner Praxis rausgehen. Das hilft dabei, das Gespräch noch mal zu rekapitulieren. Es kann noch mal nachgelesen werden, was die Ärztin gesagt hat. Außerdem haben die Patienten auch eine Aufgabe. Wir machen das häufig so in der Praxis, dass wir das Rezept ausstellen und den Patienten sagen, dass sie es zur Krankenkasse schicken und genehmigen lassen sollen und im Anschluss den Zugangscode bekommen. Sie sind damit viel handlungsfähiger. Wenn Patienten zu mir kommen haben sie häufig schon über eine psychotherapeutische Behandlung nachgedacht und angefragt, aber überall nur Ablehnung erfahren. Auch wenn es nur eine kleine Aufgabe ist, können die Patienten endlich etwas machen und wenn sie den Code bekommen, können sie sogar noch mehr machen. Viele dieser Patienten sind sehr motiviert.

Haben Sie das Gefühl, dass DiGA vor allem als Überbrückung der Wartezeit genutzt werden? Oder gibt es auch Patientinnen und Patienten, denen DiGA tatsächlich ausreichen und bei denen sich die Symptome so stark verringern, dass sie keine Psychotherapie mehr benötigen?

Bibiana Bauer: Ich glaube, dass es eher eine Überbrückung ist. Ich hatte schon zwei oder drei Patienten, die kurzfristig arbeitsunfähig waren, bei denen HelloBetter Stress und Burnout begleitend geholfen hat. Meistens sind es aber Patienten, die vorher schon eine psychotherapeutische Behandlung hatten oder sich dann im Nachgang doch noch mal professionelle Hilfe holen. Andererseits ist es bei HelloBetter Schlafen durchaus so, dass keine medikamentöse oder fachärztliche Mitbeurteilung mehr gebraucht wird.

Es ist interessant zu hören, dass es je nach DiGA Unterschiede gibt. Haben Sie vielleicht ein Patientenbeispiel im Kopf, anhand dessen man sehen kann, wie der Verlauf einer Patientin oder eines Patienten war?

Bibiana Bauer: Eine junge Patientin kam zu mir und hatte unglaublich viel Stress, hat das aber nicht als Stress, sondern als Schlafstörungen verbalisiert. Sie hatte auch Ein- und Durchschlafschwierigkeiten. Wir haben uns dann gemeinsam darauf geeinigt, erst mal mit HelloBetter Schlafen anzufangen. Bei HelloBetter Schlafen ist es am Anfang so, dass man Fragebögen beantwortet, um herauszufinden, ob es neben den Schlafproblemen auch Beschwerden in den Bereichen Depression, Sorgen und Ängste oder Stress gibt. Bei ihr kam eine hohe Stressbelastung heraus. Sie hat HelloBetter Schlafen trotzdem angefangen, was ihr auch sehr geholfen hat, weil sie die Tipps, die dort gegeben wurden, gut in ihren Alltag integriert hat. Sie hat aber gemerkt, dass Stress und Burnout besser geeignet wäre.

Die Patientin hatte in der Tat keine Psychotherapie, sondern nur die beiden DiGA durchgeführt. Das ging auch sehr gut mit der Beantragung bei der Krankenkasse, da gab es keine Probleme. Sie macht jetzt HelloBetter Stress und Burnout und hat dadurch viel in ihrem Leben geändert. Das fand ich wirklich einen ganz tollen Verlauf und das hat mir gezeigt, dass eine DiGA auch bei der Diagnostik helfen kann.

Das ist wirklich ein schönes Beispiel. Wie ist sonst das Feedback von Ihren Patientinnen und Patienten zu DiGA, wenn Sie diese wieder einbestellen? 

Bibiana Bauer: Es gibt anfangs leider immer mal wieder Startschwierigkeiten bei den Krankenkassen. Außerdem gibt es in den DiGA unter anderem freie Textaufgaben, wo man über Probleme oder Gefühle schreiben soll und die Patienten machen sich manchmal Sorgen darüber, wie viel die Krankenkasse oder die Ärztin lesen können. Da merke ich manchmal Hemmungen und da wird auch sehr explizit nachgefragt, ob die Krankenkasse oder ich lesen können, was sie dort reinschreiben. Es wird auch explizit gefragt, was genau ich in dem Therapieverlaufsbericht lesen kann.* Das finde ich immer sehr interessant, weil es völlig normal ist, wenn ich einen psychotherapeutischen oder psychiatrischen Arztbrief bekomme.

*Anmerkung der Redaktion: Personen- und Gesundheitsdaten der Teilnehmenden sind für Dritte grundsätzlich nicht zugänglich. Krankenversicherungen erhalten lediglich die Information, dass eine digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) verschrieben wurde. Auch Behandelnde haben keinen Zugriff auf die Patientendaten. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass Teilnehmende ihre Daten mit anderen teilen, sofern sie dies möchten, z. B. durch einen Datenexport. Wenn Teilnehmende zustimmen, kann HelloBetter außerdem einen Therapieverlaufsbericht an den Behandler bzw. die Behandlerin schicken.

Das ist interessant. Fühlen Sie sich gut informiert, um darauf Antworten geben zu können?

Bibiana Bauer: Ich habe meine Beraterin von HelloBetter darauf angesprochen. Sie konnte mir gutes Feedback geben. Da gebe ich den Patienten auch eine Entwarnung, dass ich nicht die geheimsten Familienkonflikte lesen kann.

Wie viele Ihrer Patientinnen und Patienten haben denn schon mal davon gehört, dass es DiGA gibt? Bei wie viel müssen Sie noch Aufklärungsarbeit leisten?

Bibiana Bauer: Davon haben wenige gehört. Das heißt, ich muss eigentlich die meisten Patienten über eine DiGA, egal in welchen Anwendungsbereichen, informieren. Es sind selten Patienten, die mich darauf ansprechen. Wenn sie mich darauf ansprechen, dann ist es in der Tat, weil wir die Flyer im Wartezimmer ausgelegt haben. Darüber schafft man auch den Einstieg.

Wenn Sie eine DiGA einer Patientin oder einem Patienten erklären müssen, wie machen Sie das so, dass es kurz und bündig und trotzdem verständlich ist?

Bibiana Bauer: Ich erzähle meistens von meinen eigenen Erfahrungen. Ich sage, dass ich vieles, was ich verschreibe, selbst getestet habe, dass ich sehr gutes Feedback geben kann, dass es ein tolles Produkt ist, dass sie eine digitale Gesundheitsanwendung am Computer oder am Handy machen können und dass diese sie bei ihrem Problem begleitet.

Ich erkläre meist speziell zu HelloBetter Stress und Burnout, dass man dort Inhalte zum Lernen hat, wie zum Beispiel, dass es problemorientierte Stressbewältigung und emotional bedingte Stressbewältigung gibt. Dies gibt dem Patienten Angriffspunkte, wie man etwas umkrempeln oder verändern könnte, um weniger Probleme zu haben.

Ich erkläre auch, dass es auditive Dateien, Entspannungsübungen und fiktive Kurspartner gibt, mit denen man gemeinsam den Kurs durchführt, die ich persönlich als sehr realistisch einschätze. 

Außerdem erzähle ich noch von den Freitextaufgaben, wo sie über Ihre Gefühle schreiben können oder sich selbst darüber im Klaren werden können, was das Problem oder die Empfindung ist. Dadurch, dass ich dann relativ konkret erkläre, was es alles gibt, sind die Patienten sehr empfänglich dafür und merken, dass da jemand ist, die hinter dem Produkt steht.

Und wie verschreiben Sie konkret in der Praxis? Haben Sie eine Liste mit den verfügbaren DiGA oder verwenden Sie die offizielle BfArM Seite, wenn Sie die PZN oder die Indikation brauchen?

Bibiana Bauer: Dadurch, dass ich viele DiGA verschreibe, haben wir gerade für HelloBetter und für die anderen DiGA, die ich auch viel verwende, die PZN und Diagnosen schon vorgefertigt. Das ist alles schon in unseren Ablauf integriert, sodass es da keine Probleme gibt. Ich stelle die Diagnose und die MFA schreiben dann das Rezept auf.

Wir bedanken uns herzlich für das spannende Interview und die interessanten Einblicke in Ihren Alltag in der Hausarztpraxis! 

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