Deutschland in der Multikrise: Jede:r Vierte fürchtet psychische Erkrankung
- Bei der Hälfte der Bevölkerung haben die Sorgen in den letzten zwölf Monaten weiter zugenommen, was sich bereits negativ auf ihre Lebensqualität auswirkt.
- Fast jede:r Dritte ist mit seinem Schlaf unzufrieden, jede:r Vierte grübelt viel, fühlt sich erschöpft und ohne Energie.
- Die größte Sorge der Bevölkerung ist die Inflation (51 Prozent), gefolgt von der politischen Lage im In- und Ausland (45 Prozent), der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft (44 Prozent) und dem Rechtsruck (43 Prozent)
Berlin, 7. Oktober 2024 Inflation, eine angespannte politische Lage und Extremwetterereignisse – die Menschen in Deutschland sind zur Zeit mit vielen Sorgen belastet. Entsprechend groß ist die Angst, dass einfach alles zu viel wird: Eine repräsentative Studie der Online-Therapieplattform HelloBetter zeigt, dass über alle Altersgruppen hinweg jede:r Vierte (26 Prozent) hierzulande befürchtet, psychisch zu erkranken. Besonders hohe Werte erzielen vor allem junge Menschen (Gen Z, zwischen 16 und 28 Jahren: 39 Prozent) und Frauen mit 28 Prozent. Die in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsinstitut IPSOS entstandene Studie zeigt gleichzeitig eine bereits deutlich sichtbare psychische Belastungen in der deutschen Bevölkerung auf: Fast jede:r Dritte ist mit der eigenen Schlafqualität unzufrieden (32 Prozent), jede:r Vierte grübelt viel (26 Prozent) oder fühlt sich erschöpft und ohne Energie (25 Prozent). Eine chronische Stressbelastung kann das Risiko eines Burnouts erhöhen. Entsprechend fürchten 19 Prozent der Befragten, ein Burnout zu erleben.
Deutschland in Angst: „Rechtsruck”, gesellschaftliche Spaltung und Inflation belasten die Bevölkerung
Kein Ende der Krisenstimmung in Sicht: Die Studie zeigt, dass die Ängste und Sorgen der Menschen in Deutschland weiter zunehmen: 43 Prozent der Befragten gaben an, dass ihre Sorgen in den letzten zwölf Monaten zugenommen haben. Vor allem die wirtschaftliche Situation macht vielen zu schaffen: Die größte Sorge der Menschen hierzulande ist die Inflation (51 Prozent). Auch die politische Situation belastet die Bevölkerung hierzulande stark: Laut der repräsentativen Studie ist fast jede:r zweite Befragte (43 Prozent) aufgrund des „Rechtsrucks” in der Gesellschaft besorgt. Auch die allgemeine politische Lage im In- und Ausland (45 Prozent), die zunehmende „Spaltung der Gesellschaft” (44 Prozent), der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine (41 Prozent), die Klimakrise (40 Prozent), der Israel-Gaza-Krieg (35 Prozent) sowie die Präsidentschaftswahl in den USA (26 Prozent) belasten die Deutschen. Zudem lässt der Blick in die Zukunft die Befragten bangen: 41 Prozent haben Angst davor, finanziell nicht genügend abgesichert und später einmal von Altersarmut betroffen zu sein.
Angst vor dem Wochenstart: Jede fünfte Person kennt “Sunday Scaries” und schläft beim Gedanken an die kommende Arbeitswoche schlecht
Auch im Arbeitsumfeld fühlen sich die Menschen in Deutschland belastet. Am häufigsten werden der Fachkräftemangel und die hohen Ansprüche an sich selbst (jeweils 21 Prozent) als Gründe genannt, die im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit Anlass zur Sorge geben und sich negativ auf die Gesundheit und Zufriedenheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auswirken. Jeweils 20 Prozent der Befragten empfinden die Arbeitsmenge, das Verhalten von Vorgesetzten und die ständige Erreichbarkeit am Arbeitsplatz als belastend. Das alles lässt die Menschen hierzulande schon am Sonntagabend schlecht schlafen. Über alle Generationen hinweg gibt jeder Fünfte (20 Prozent) an, dass das Wochenende für ihn mit Schlafproblemen endet, weil die Gedanken an die kommende Arbeitswoche stark zu schaffen machen. Besonders junge Menschen sind von den sogenannten “Sunday Scares” betroffen: Vor allem die Generation Y (Personen zwischen 29 und 43 Jahren: 26 Prozent) und die Generation Z (29 Prozent) haben Probleme, am Sonntagabend ein- oder durchzuschlafen.
Mental Load: besonders Gen Z kämpft mit hohen Ansprüchen an sich selbst
Die repräsentative Befragung von 2.000 Menschen im Auftrag von HelloBetter zeigt, dass die Menschen in Deutschland den Kopf voll haben. Die unsichtbaren Anstrengungen, die es braucht, um das eigene Leben, Familie, Haushalt, Berufliches und Privates auf die Reihe zu bekommen, belastet über alle Altersgruppen hinweg 27 Prozent der Befragten. 35 Prozent der Befragten aus der Gen Y gaben an, unter hohem oder sehr hohem Mental Load zu leiden. Danach folgen die Gen Z mit 32 Prozent und Gen X mit 28 Prozent. Im Vergleich dazu kennen nur 15 Prozent der Generation der Babyboomer (59 bis 75 Jahre) das Gefühl, dass ihnen alles über den Kopf wächst. Die Gründe für Mental Load sind vielfältig. Über alle Generationen hinweg wird am häufigsten der eigene Anspruch an sich selbst genannt (26 Prozent), innerhalb der Gen Z sind es sogar 42 Prozent der Befragten. Finanzielle Angelegenheiten (24 Prozent), Aufgaben im Haushalt (22 Prozent), die Menge an Aufgaben (21 Prozent) sowie die ständige Erreichbarkeit (18 Prozent) machen den Befragten außerdem zu schaffen.
„Mental Load beschreibt die unsichtbaren Planungs- und Koordinationsprozesse, die es braucht, um alle Aufgaben des Alltags unter einen Hut zu bekommen. Unsere Leistungsgesellschaft, aber auch soziale Medien können den inneren Druck und das Bedürfnis, allem perfekt gerecht zu werden, noch verstärken. Entsprechend ist es keine Überraschung, dass sich besonders die Digital Natives mit den eigenen (oft zu) hohen Ansprüchen an sich selbst kämpfen", kommentiert Dr. Alena Rentsch, Psychologische Psychotherapeutin bei HelloBetter, die Ergebnisse der Studie.
Wie es um die Gleichberechtigung steht, lässt sich aus der Studie ebenfalls herauslesen: Frauen leiden sehr viel stärker unter Mental Load als Männer (31 Prozent gegenüber 22 Prozent), und vor allem die Aufgaben im Haushalt von der Organisation bis zur Reinigung fallen mit 27 Prozent deutlicher ins Gewicht als bei den Männern mit 18 Prozent. 19 Prozent der Frauen, aber nur 15 Prozent der Männer, haben Schwierigkeiten damit, Aufgaben an andere abzugeben.
Was der Psyche hilft: Spaziergänge in der Natur, Musik und Zeit mit der Familie
Gefragt, wem sie sich anvertrauen, wenn es ihnen psychisch nicht gut geht, geben 41 Prozent der befragten Frauen an, eine gute Freundin oder einen guten Freund aufzusuchen.
Bei männlichen Befragten ist das nur bei 26 Prozent der Fall. Für sie hingegen ist die erste Anlaufstelle die Partnerschaft (37 Prozent). Diese Option kommt bei 38 Prozent der befragten Frauen an zweiter Stelle. Über alle Geschlechter hinweg gibt jede:r Dritte an, Stress und Sorgen mit sich selbst auszumachen.
Die Studie hat außerdem untersucht, was den Deutschen hilft, sich emotional wieder zu stabilisieren. Dabei ist herausgekommen, dass vor allem die Natur für viele hilfreich ist. Mit 39 Prozent sind Spaziergänge an der frischen Luft das Mittel der Wahl, danach folgen Musikhören (33 Prozent) und Zeit mit der Familie zu verbringen (31 Prozent).
37 Prozent der Deutschen können sich vorstellen, eine Digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) bei psychischen Belastungen zu nutzen
Die Aufgeschlossenheit, auch konkrete Unterstützung in Form von kostenfreien digitalen Gesundheitsanwendungen auf Rezept (DiGA) anzunehmen, ist weiter gestiegen. Insgesamt 37 Prozent der Befragten geben an, dass eine solche Maßnahme bei psychischen Belastungen für sie in Frage kommt. Im Vorjahr waren es generationsübergreifend 33 Prozent. Genauso ist der Bekanntheitsgrad um 10 Prozentpunkte gestiegen: Während 2023 noch 67 Prozent der Deutschen angegeben haben, noch nie von der “kostenfreien App auf Rezept” gehört zu haben, ist der Wert in diesem Jahr mit 57 Prozent deutlich gesunken. Zu den von Ärzt:innen verordneten Leistungen zählen unter anderem psychologische Online-Therapieprogramme, die zum Beispiel bei Panikstörungen, Schlafstörungen sowie Stress und Burnout eingesetzt werden können. Im Gegensatz zur traditionellen Face-to-face-Therapie entfällt die Wartezeit und Betroffene können direkt und flexibel zu Hause beginnen. Junge Menschen sind dafür besonders offen: 44 Prozent der Gen Z und Gen Y geben an, dass sie eine DiGA ausprobieren würden.
“Im Zeitalter der Multikrise kann sich die enge Taktung an Krisenereignissen und vielfältigen gesellschaftlichen Herausforderungen negativ auf die psychische Gesundheit auswirken. Wir sind froh, mit unserer Studie genau das in den Fokus zu rücken, was so oft noch in der öffentlichen Debatte fehlt: einen offenen Umgang mit psychischen Beschwerden und Belastungen,“ fasst Dr. Hanne Horvath, Psychologin und Mitgründerin von HelloBetter, die Ergebnisse der Studie so zusammen. “Einem tatsächlichen Anstieg psychischer Erkrankungen geht immer eine Phase der Belastung voraus. Wenn wir sehen, dass heute ein Viertel der Menschen in Deutschland über Erschöpfung und Energielosigkeit klagt, können wir bereits vermuten, dass wir im nächsten Jahr erneut einen Anstieg psychischer Erkrankungen erleben werden. Diese Einblicke sind von enormer Bedeutung, um präventive Maßnahmen und Behandlungsangebote gezielt zu fördern. Mich freut es besonders, dass die Bekanntheit von DiGAs im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist. Dies lässt hoffen, dass mehr Menschen in Deutschland professionelle Unterstützung in Anspruch nehmen und nicht mehr allein mit ihren Sorgen und Belastungen kämpfen müssen”, so Dr. Horvath weiter.
Zur Umfrage: Ipsos hat für HelloBetter im September, n=2.000 repräsentativ ausgewählte Personen im Alter von 16 bis 75 Jahren in Deutschland online befragt.
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