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Modulare Psychotherapie: Definition, Forschungsergebnisse und Einsatzmöglichkeiten

In der Praxis ist es längst Realität: Betroffene haben häufig mehr als eine Diagnose und auch innerhalb der Diagnosen gibt es eine große Bandbreite an möglichen Symptomkombinationen, sodass Behandelnde ihre Therapieplanung individualisieren. So werden beispielsweise Elemente der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) nicht wie ursprünglich gedacht nur für die Behandlung bei emotional-instabilen Persönlichkeitsstörungen, sondern zunehmend auch bei anderen Erkrankungen wie Depressionen eingesetzt. Was in der Praxis bereits ganz alltäglich ist, gerät nun auch in der Psychotherapieforschung zunehmend in den Fokus: Eine individualisierte Psychotherapie, die verschiedene Behandlungsmodule auf Betroffene abstimmt und miteinander kombiniert. Man spricht in diesem Fall auch von einer Modularen Psychotherapie. Doch was genau ist Modulare Psychotherapie und ist das Baukastenprinzip wirklich die Psychotherapie der Zukunft?

Status Quo – Herausforderungen in der Psychotherapie

Nicht ohne Grund ist Psychotherapie die Behandlungsempfehlung erster Wahl in fast allen Leitlinien zur Behandlung psychischer Erkrankungen. Psychotherapie wirkt und das oft nachhaltig. Doch darüber, wie genau Psychotherapie wirkt und welche Wirkfaktoren dabei von besonderer Bedeutung sind, ist noch wenig bekannt. 

Dazu kommt, dass nicht alle Menschen auf Psychotherapie ansprechen und davon profitieren. In Studien zeigte sich, dass mindestens ein Drittel der Patientinnen und Patienten sogenannte Nonresponder sind, also nicht auf die Behandlung ansprechen und ca. zwei Drittel keine vollständige Remission erlangen.1 Auch die bereits angesprochene Komorbidität und Symptomvielfalt von Patientinnen und Patienten stellt Behandelnde in der Praxis häufig vor Herausforderungen. Studien gehen davon aus, dass bis zu 80 Prozent der Betroffenen die diagnostischen Kriterien für mehr als eine psychische Erkrankung erfüllen.2 Therapiemanuale beziehen sich jedoch oft nur auf einen Indikationsbereich und in den zugrunde liegenden Evaluationsstudien stellt Komorbidität meist ein Ausschlusskriterium dar. Wie wird man in der Praxis also der Individualität der Betroffenen gerecht und kann die modulare Psychotherapie eine Lösung dafür sein? 

Auf der Suche nach universellen Wirkmechanismen

Da über alle Richtlinienverfahren hinweg die Wirksamkeit zur Behandlung psychischer Erkrankungen nachgewiesen wurde, werden universelle, schulenübergreifende Wirkmechanismen und deren Einsatzmöglichkeiten diskutiert. Schaut man sich verschiedene Therapietechniken an, stellt man schnell fest: Indikations- und schulenübergreifende Module kommen in der Praxis bereits zum Einsatz – zum Beispiel in Form von Ressourcenaktivierung oder Emotionsregulationsstrategien. Häufig sind diese Techniken für die jeweiligen Indikationen zugeschnitten oder tragen unterschiedliche Bezeichnungen, doch dahinter steckt meist ein ähnliches Prinzip.

Diagnostik neu gedacht

Transdiagnostische Grundlagen vs. störungsspezifische Diagnostik

Der erste Schritt zur Behandlungsplanung der (modularen) Psychotherapie liegt in der Diagnostik. Auch hier gibt es neue Ansätze aus der Transdiagnostik, die darauf abzielen, mögliche transdiagnostischen Funktionseinschränkungen der Betroffenen zu erfassen, anstatt diagnostische Kategorien zu verwenden. Beispiele für sogenannte transdiagnostische Funktionseinschränkungen können Defizite in der Emotionsregulation, in sozial-interaktiven Fähigkeiten oder in der Verhaltenskontrolle sein. Gerade bei Betroffenen mit komorbiden Erkrankungen könnte dadurch ein besseres Verständnis für die zugrunde liegenden Problembereiche entstehen und mehrere Diagnosen würden nicht mehr unabhängig voneinander behandelt werden. Die systematische Diagnostik von Funktionseinschränkungen würde auch die Wahl von passenden Behandlungsmodulen erleichtern.

Es gibt bereits verschiedene Konzepte für alternative Taxonomien und deren Diagnostik, zum Beispiel HiTOP (Hierarchische Taxonomie der Psychopathologie), welche psychopathologische Phänomene auf Dimensionen abbildet, und RDoC (Research Domain Criteria), ein transdiagnostischer Ansatz, der versucht, psychosoziale und biologische Grundlagen zu identifizieren.

Neben der Weiterentwicklung der Diagnostik bilden außerdem datengestützte Entscheidungsmatrizen, die auf künstlicher Intelligenz in der Psychologie basieren, eine Möglichkeit zur Weiterentwicklung der Modulauswahl.

Die Grundlagen der Modularen Psychotherapie

Wie der Name sagt, geht es in der Modularen Psychotherapie darum, anstelle standardisierter Manuale spezifische Therapiemodule gezielt einzusetzen und damit Betroffene noch effektiver unterstützen zu können. Bei den eingesetzten Modulen sollte es sich um unabhängig voneinander wirksame Techniken handeln, die sich in Forschung und Praxis bereits bewährt haben.

Bei der Modularen Psychotherapie handelt es sich also nicht um eine neue Therapieschule oder ein neues Therapiemanual. Vielmehr werden Therapiemethoden, die sich bereits bewährt haben, in Modulen zusammengefasst und können dann nach einem Baukastenprinzip individuell zusammengestellt werden.

Module können sowohl indikationsübergreifend als auch indikationsspezifisch sein und miteinander kombiniert werden – wobei vorher festgelegt werden muss, ob verschiedene Schnittstellen oder Reihenfolgen zu beachten sind. Insgesamt sind verschiedene Konzepte denkbar, beispielsweise dass auf festgelegte Kernmodule oder Manuale verschiedene optionale Module folgen, die zusätzlich eingesetzt werden können oder eine ganz freie Auswahl aller Module. 

Wonach werden die Module ausgewählt?

In bisherigen Studien zur Modularen Psychotherapie basierte die Auswahl der Behandlungsmodule häufig auf Basis zugrunde liegender Funktionseinschränkungen oder verschiedene Therapiemanuale bzw. Therapiebausteine wurden kombiniert. Eine weitere Möglichkeit stellt die Auswahl zusätzlicher optionaler Module nach Abschluss einer standardisierten Therapie dar, die auf häufig komorbid auftretenden Problembereichen basieren. Häufig werden für modulare Therapieprogramme Flussdiagramme entwickelt, um Behandelnden eine Anleitung zur Auswahl der Module zu geben.

Damit sich die Modulare Psychotherapie weiterentwickelt, Fluss- und Entscheidungsdiagramme optimiert werden und die Auswahl der Behandlungsmodule sich noch mehr an den Bedürfnissen der Betroffenen orientieren, liegt die Hoffnung in verbesserten diagnostischen Prozessen. Neben der Weiterentwicklung der Diagnostik bilden außerdem datengestützte Entscheidungsmatrizen eine Möglichkeit zur Weiterentwicklung der Modulauswahl. Weiterhin braucht es fortlaufende Evaluationsmöglichkeiten, um Therapiemodule an die Behandlungsverläufe anpassen zu können.

Aktuell sind solche Entwicklungen jedoch noch Gegenstand der Psychotherapieforschung und auch die Modulare Psychotherapie steckt noch in den Kinderschuhen.

Herausforderungen der Modularen Psychotherapie

Die wohl größten Herausforderungen der Modularen Psychotherapie liegen in der Auswahl der Behandlungsmodule und der empirischen Überprüfung dieser. Auch die Entscheidung über die Reihenfolge der Module und die Frage, ob Betroffene in jedem Fall bestimmte Grundmodule erhalten sollen oder die Behandlung von Beginn an personalisiert wird, ist noch zu beantworten. 

Insgesamt gestaltet sich die empirische Überprüfung von modularen Behandlungsprogrammen viel komplexer als die von standardisierten Behandlungsmanualen. Das liegt auch daran, dass die modulare Psychotherapie den Anspruch hat, die Therapiemodule im Verlauf der Behandlung anpassen zu können und dass die Flussdiagramme teilweise sehr komplex und flexibel sind. Auch für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten könnte der Praxiseinsatz von Modularer Psychotherapie mit zusätzlichen Weiterbildungen und Mehraufwand verbunden sein.

Chancen der Modularen Psychotherapie

Modulare Psychotherapie bietet die Chance, dass Betroffene eine gezieltere und individualisierte Behandlung erhalten und dadurch möglicherweise mehr Menschen von einer Psychotherapie profitieren bzw. bessere und nachhaltigere Therapieeffekte erzielt werden können. Bei Betroffenen mit komorbiden psychischen Erkrankungen würde sich zudem nicht mehr die Frage stellen, welche Erkrankung zuerst behandelt werden muss, sondern die zugrunde liegenden Problembereiche würden unabhängig von den Diagnosen erfasst und adressiert. 

Auch für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten bietet der Ansatz der Modularen Psychotherapie die Chance, dass sie eine größere Behandlungsflexibilität erleben und der Umgang mit komorbiden Erkrankungen erleichtert werden kann. Zudem würde sich die große Anzahl störungsspezifischer Interventionen, die sich fortlaufend erweitert, auf ein Grundgerüst an wirksamen Behandlungsmodulen reduzieren. Insgesamt könnte dadurch auch eine Annäherung verschiedener Therapieschulen erzielt werden, von denen auch Patientinnen und Patienten profitieren würden.

Wie ist der Forschungsstand zur modularen Psychotherapie?

Noch gibt es wenige Studien zur Modularen Psychotherapie – dafür zeigen sich in ersten Studien gute Ergebnisse. So untersuchte beispielsweise die MATCH-Studie (Modular Approach to Therapy for Children) eine Modulare Psychotherapie, verglichen mit einer Standardbehandlung und der Regelversorgung.3 Kinder und Jugendliche von 7-13 Jahren, die unter Angststörungen, Depressionen und Störungen des Sozialverhaltens bei hoher Komorbidität untereinander litten, wurden nach dem Zufallsprinzip einer der drei Behandlungsbedingungen zugewiesen. Während Behandelnde in der Regelversorgung ihre bisherigen Behandlungsstrategien einsetzen konnten, umfasste die Standardbehandlung eine störungsspezifische, manualisierte kognitiv-behaviorale Behandlung (zur Behandlung von Ängsten, Depressionen und Störung des Sozialverhaltens). Die Modulare Psychotherapie kombinierte Therapietechniken aller drei Behandlungsmanuale und überließ den Behandelnden eine hohe Flexibilität. Die modulare Behandlung schnitt insgesamt besser ab und bei den Jugendlichen, die eine Modulare Psychotherapie durchlaufen hatten, wurden nach Behandlungsabschluss weniger Diagnosen festgestellt. Zum Katamnesezeitpunkt nach zwei Jahren zeigte sich eine Überlegenheit gegenüber der Regelversorgung, nicht aber über die Standardbehandlung.4 

Vergleicht man verschiedene Behandlungsmethoden, zeigte sich bei Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in einer durchgeführten Studie zudem eine höhere Zufriedenheit mit dem Einsatz einer Modularen Psychotherapie verglichen mit der Standard- und Regelversorgung.5

Auch Studien, welche Standardbehandlungen gekoppelt mit optionalen Wahlmodulen untersuchen, zeigen gute Effekte.6

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Modulare Psychotherapie in der Praxis

Da die Modulare Psychotherapie noch nicht ausreichend untersucht worden ist, hat sie noch keinen systematischen Einzug in die Versorgung gefunden. Bisher liegen nur wenige Behandlungsprogramme zum Einsatz von Modularer Psychotherapie vor. Der bisherige Praxiseinsatz besteht darin, dass Behandelnde insbesondere bei psychischen Komorbiditäten verschiedene Therapieansätze kombinieren oder basierend auf dem individuellen Störungsmodell Therapiemodule auswählen.

Erste Ansätze im Sinne einer Modularen Psychotherapie könnten darin bestehen, regelmäßige Feedback- und Evaluationssysteme zu etablieren, um den Therapieverlauf von Patientinnen und Patienten zu beobachten und frühzeitig die Behandlung anpassen zu können. Auch das Erfassen indikationsübergreifender Funktionseinschränkungen und dysfunktionaler Bewältigungsmuster kann bei der Therapieplanung und der Integration bestimmter Behandlungsmodule unterstützen. Zusätzlich wäre es denkbar, dass nach einer Standardbehandlung verschiedene optionale Wahlmodule zur Festigung des Therapieerfolgs oder zur Behandlung komorbider Problembereiche angeboten werden. 

Individualisierung durch Digitalisierung

Eine weitere, bereits verfügbare Möglichkeit auf dem Weg zu einer individualisierten Psychotherapie stellt der Einsatz digitaler Therapieprogramme und Therapiemodule dar.

Exkurs

Modulare Psychotherapie und DiGA

Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), auch als Apps auf Rezept” bekannt, werden zunehmend in der Versorgung eingesetzt, um Betroffenen eine evidenzbasierte Soforthilfe anbieten zu können. DiGA werden für bestimmte Indikationen zugelassen und bieten eine leitlinienbasierte Behandlungsmöglichkeit. Inwiefern DiGA in Zukunft auch indikationsübergreifend und individualisierter entwickelt und eingesetzt werden können, ist noch unklar. Das Potential für eine Modulare Psychotherapie im Rahmen von DiGA ist groß, denn DiGA können verschiedene Daten der Teilnehmenden erfassen – zum Beispiel im Sinne von Patient-Reported Outcome Measures (PROMs) die Symptomatik mithilfe validierter Symptomfragebögen oder die Zufriedenheit mit verschiedenen Therapiemethoden. Diese Daten könnten dann bei der Auswahl geeigneter Therapiemodule unterstützen.

Eine Möglichkeit der Individualisierung von Behandlungen liegt in der verzahnten Psychotherapie – auch Blended Care genannt. Blended Care beschreibt eine Kombination digitaler Therapiemodule mit einer Face-to-Face-Behandlung, um die Vorteile beider Welten zu verbinden. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten können also bereits heute durch eine DiGA Verordnung eine Individualisierung und Erweiterung ihrer Behandlung umsetzen.

Trotz des störungsspezifischen Ansatzes von DiGA bieten einige Anwendungen zudem schon heute Möglichkeiten der Individualisierung an. So enthalten viele DiGA von HelloBetter optionale Wahlmodule, um den Teilnehmenden sowohl störungsübergreifende Methoden als auch Methoden bei häufig komorbid auftretenden Problemen anzubieten. Die DiGA HelloBetter Schlafen bietet beispielsweise Wahlmodule unter anderem zu den Themen Emotionsregulation, Problemlösetraining und Selbstwert an.

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  • Quellennachweis
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    5. Chorpita, B. F., Park, A., Tsai, K., Korathu-Larson, P., Higa-McMillan, C. K., Nakamura, B. J., Weisz, J. R. & Krull, J. (2015). Balancing effectiveness with responsiveness: Therapist satisfaction across different treatment designs in the Child STEPs randomized effectiveness trial. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 83(4), 709–718. https://doi.org/10.1037/a0039301
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