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Blended Care: Definition, Wirksamkeit und Umsetzung

Mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen entstehen zahlreiche neue Möglichkeiten, klassische Behandlungsmethoden neu zu denken. Auch im psychotherapeutischen Bereich werden immer häufiger sogenannte E-Health-Interventionen eingesetzt. Eigenständige Online-Therapieprogramme können für viele Betroffene mit psychischen Erkrankungen eine niederschwellige und einfache zugängliche Hilfe bieten. Aber es gibt auch Menschen, die sich weiterhin eine Face-to-Face-Psychotherapie wünschen oder denen es schwerfällt, in der rein selbstgesteuerten Therapie bei unbegleiteten Programmen eine Kontinuität aufrecht zu erhalten.1 Hier greifen sogenannte Blended-Care-Ansätze. Jüngste Studien haben gezeigt, dass die Integration von Online-Komponenten in die reguläre Psychotherapie die Wirksamkeit der Behandlung erhöhen kann.2 Alles Wichtige zur Definition, Wirksamkeit und Umsetzung von Blended Care haben wir Ihnen hier zusammengefasst.

Definition: Was bedeutet Blended Care?

Der englische Begriff Blend bedeutet so viel wie Mischung oder Verbindung. Mit Blended Care in der Psychotherapie ist also eine gemischte oder verbundene Versorgung gemeint. Im Deutschen hat sich noch kein definitiver Begriff etabliert, jedoch wird in vielen Quellen der Begriff der verzahnten Psychotherapie verwendet.3

Ebenso unscharf ist auch das inhaltliche Konzept der Blended Care noch. Im Allgemeinen bedeutet Blended Care, dass die klassische Face-to-Face-Psychotherapie (PT) mit online- bzw. App-basierten Modulen kombiniert wird. Dabei handelt es sich in der Regel um Module, die auf dem Smartphone oder am Computer durchgeführt werden können.3 

Während Therapieelemente wie das Kennenlernen und der Beziehungsaufbau in der Regel dem Face-to-Face-Gespräch vorbehalten bleiben, gibt es andere Therapieinhalte, die sich sehr gut in Online-Module durchführen lassen. Dazu gehören beispielsweise die Psychoedukation, das Ausfüllen von Fragebögen oder die Nutzung von Tagebüchern sowie therapeutische Übungen, die im Sinne von Hausaufgaben zwischen den Sitzungen eingesetzt werden können.

Vorteile der Blended Care

Der Einsatz von zusätzlichen mobilen und internetbasierten Programmen im Rahmen einer Psychotherapie kann verschiedene Vorteile gegenüber einer alleinigen Face-to-Face-Psychotherapie bieten:

  • Es kann ein abwechslungsreiches und breiteres Therapieangebot ermöglicht werden.5
  • Durch die Auslagerung von einfachen Elementen wie dem Ausfüllen von Fragebögen oder Psychoedukation bleibt in den Vor-Ort-Sitzungen mehr Zeit für die Vertiefung der Inhalte.5
  • Die mobilen Elemente können zeitlich und örtlich flexibel durchgeführt werden und dadurch die Inanspruchnahme der Behandlung erhöhen.1
  • Durch abwechselnde Elemente können mehr Ressourcen der Behandelnden freigestellt werden.5
  • Die Selbstwirksamkeit und Autonomie der Betroffenen kann durch eigenständiges Arbeiten und kleine Erfolge gefördert werden.1 
  • Die mobilen Elemente können eine Erleichterung des Symptommonitorings ermöglichen und Betroffenen eine Unterstützung im Alltag bieten.

Möglichkeiten der Verzahnung von Psychotherapie und Online-Elementen

Die Verbindung der beiden Komponenten kann bei Blended Care in unterschiedlicher Art und Weise erfolgen. Wie der Name aber bereits andeutet, agieren die Online und Offline-Komponenten nicht als eigenständige Behandlungsweisen, sondern sind in einer bestimmten Weise miteinander verbunden.4 Dabei kann man zur Unterteilung und besseren Definition in sequenzielle und integrierte Ansätze unterscheiden. 

Sequenzieller Ansatz der Blended Care

Der sequenzielle Ansatz ist der wahrscheinlich bekannteste. Dabei werden der Online-Anteil und der Face-to-Face-Anteil der Therapie zeitlich voneinander getrennt durchgeführt. Für den sequenziellen Ansatz können beispielsweise digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) aus dem DiGA-Verzeichnis gut eingesetzt werden:

1Online-Intervention erfolgen vor der Face-to-Face-PT

Bei diesem Ansatz geht die Online-Intervention der Face-to-Face-Psychotherapie zeitlich voraus. Dies kann zum Beispiel ein Online-Programm sein, das zur Wartezeitüberbrückung auf einen Therapieplatz genutzt wird. Solche Maßnahmen zur Wartezeitüberbrückung können dazu beitragen, Versorgungslücken im psychotherapeutischen Bereich zu verringern und Chronifizierungen vorzubeugen.3

2Online-Intervention folgt auf die Face-to-Face-PT

Im Gegensatz dazu erfolgt in diesem Fall zunächst die klasse Vor-Ort-Intervention, z.B. im Rahmen einer intensiven stationären Behandlung. Die Online-Intervention kann dann als Nachsorgemaßnahme erfolgen. In Studien zu Online-Anwendungen, die auf eine stationäre psychosomatische Behandlung folgten, zeigten sich gute Effekte, vor allem im Sinne einer Verbesserung der Selbstmanagementkompetenz von Betroffenen.3

Abbildung verdeutlicht den sequenziellen Ansatz im Bereich Blended Care

Integrierter Ansatz der Blended Care

Beim integrierten Ansatz werden Online-Interventionen parallel zur Vor-Ort-Psychotherapie angewandt. Diese Ansätze können zahlreiche Möglichkeiten bieten, die psychotherapeutische Behandlung zu erweitern und durch zu Hause durchgeführte Online-Module zu intensivieren.5

1Abwechselnde Online-Module und Face-to-Face-Sitzungen

In diesem Fall wechseln sich Vor-Ort-Therapiesitzungen mit Online-Module ab. Dadurch können die Kapazitäten von Behandelnden erweitert werden. Elemente wie Psychoedukation oder diagnostische Fragebögen können flexibel von zu Hause aus durchgeführt werden, wodurch in den Vor-Ort-Sitzungen der Fokus auf der Bearbeitung individueller Probleme und dem Reflektieren des Erlernten liegen kann. Die Online-Elemente können auch einen transformierenden Effekt auf die Vor-Ort-Therapie haben. Nämlich dann, wenn in Online-Modulen eingeführte Inhalte später in der Therapie weiterführend und vertiefend behandelt werden.5

2Online-Module werden als Zusatzmodule angeboten

Bei diesem Ansatz erhalten Betroffene Online-Module als Zusatzelemente, die ergänzend zur Vor-Ort-Therapie angeboten werden (z. B. Tagebücher). Hierdurch kann die Intensität der Behandlung je nach Motivation und Bereitschaft an den Bedarf der Betroffenen angepasst werden. Der transformierende Einfluss auf die Vor-Ort-Behandlung kann hier geringer gehalten werden, wenn die Online-Elemente hauptsächlich ergänzender genutzt werden. Die zusätzlichen Effekte der Online-Module auf die Wirksamkeit der Gesamttherapie hängen hier häufig von der Motivation der Betroffenen ab.5

3Online-Module werden in eine Face-to-Face-Sitzung integriert

Die letzte Möglichkeit bezieht sich auf Blended Care in der einzelnen Therapiesitzung. Auch im Rahmen einer Einzelsitzung können Online-Module integriert werden. Dies kann beispielsweise das Ausfüllen eines Fragebogens zu Beginn oder zum Abschluss einer Stunde sein.

Abbildung verdeutlicht die drei integrierten Ansätze von Blended Care

Wirksamkeit und Implementierbarkeit der Blended Care

Es wurden bereits einige Studien bezüglich der Blended Care Ansätze durchgeführt. Die meisten basierten dabei auf der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) und wurden für die Behandlung von Erkrankungen wie Depression, Angststörungen und Substanzabhängigkeiten durchgeführt. Insgesamt konnte eine gute Wirksamkeit der verzahnten Psychotherapie nachgewiesen werden. Dabei ist in Zusammenschau der bisher erfolgten Studien insgesamt keine Überlegenheit der Vor-Ort-Psychotherapie gegenüber einem kombinierten Ansatz zu erkennen.3,5 Natürlich wird es auch in Zukunft noch weitere hochwertige, multizentrische klinische Studien geben müssen, da die Blended Care noch in den Kinderschuhen steckt und die Evidenz aktuell noch als vorläufig zu bewerten ist.3

In verschiedenen Studien zeigten sich die Patientinnen und Patienten offen gegenüber der verzahnten Psychotherapie. In qualitativen Interviews mit an Depression erkrankten Personen konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Betroffene die verzahnten Elemente als wirksam einschätzen, sich die internetbasierten und die Vor-Ort-Elemente gut ergänzten und die Behandlung als effizient wahrgenommen wurde. Als mögliche Nachteile wurde eine fehlende Motivation für die Nutzung der Online-Elemente und zu wenig Integration in die Face-to-Face-Psychotherapie identifiziert. Besonders bei der Nutzung als Wartezeitüberbrückung zeigte sich eine erhöhte Abbruchrate. Um die Motivation zu erhöhen, scheint es hier notwendig, mit den Betroffenen zu besprechen, dass das Programm als Vorbereitung auf die Therapie von gutem Nutzen ist und in dieser später das Gelernte intensiviert werden kann. Im Allgemeinen zeigen begleitete Online-Interventionen eine höhere Compliance als vollständig unbegleitete.5,6

Für wen eignet sich das Konzept?

Neben den Fragen nach der Definition und Wirksamkeit stellt sich natürlich auch die Frage der Indikation. Bei welchen Betroffenen ergibt eine Therapie nach dem Blended Care Konzept Sinn? Um diese Frage zu beantworten, haben Wentzel et al. bereits 2016 eine Checkliste entwickelt, die vor dem Einsatz einer verzahnten Psychotherapie genutzt werden kann. Das „Fit for Blended Care“-Instrument besteht aus vier Abschnitten, die eine Beratungsübersicht geben, um Voraussetzungen, mögliche Barrieren und Vorteile der verzahnten Therapie mit den Betroffenen zu besprechen und eine gemeinsame Entscheidungsfindung zu fördern. Insgesamt sollten bei der Wahl einer gemischten Behandlung individuelle Merkmale wie Internetkenntnisse, Persönlichkeit und Selbstmanagementfähigkeit der Betroffenen sorgfältig berücksichtigt werden.4 

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Fazit für die Praxis

Durch die aktuellen Entwicklungen im Gesundheitssektor, wie beispielsweise der Ausbau der Telemedizin, bleibt abzuwarten, wie sich das Konzept von Blended Care weiterentwickeln oder neue Begriffe und Konzepte etabliert werden. Behandelnde, die bereits die Ergänzung der verschiedenen Versorgungsstrukturen und deren Potenzial nutzen möchten, sind bisher weitestgehend auf sich selbst gestellt. Sie stehen dabei einer unüberschaubaren Vielfalt an Apps, Programmen und Internetanwendungen gegenüber, deren Qualität meist nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist.3 Durch die Einführung der Digitalen Gesundheitsanwendungen hat das Bundesministerium für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen ersten Schritt angestoßen, dies zu vereinfachen. Über den Nutzen und die Wirksamkeit von DiGA können sich Behandelnde bereits über das DiGA-Verzeichnis informieren und die Programme in den Therapiealltag integrieren. Weitere Informationen zur DiGA-Zertifizierung und der Einbindung von Online-Kursen in den psychotherapeutischen Prozess erhalten sie in unserem Leitfaden für Digitale Gesundheitsanwendungen und auf unserem Fachblog.

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  • Quellennachweis
    1. Etzelmüller, A., Radkovsky, A., Hannig, W., Berking, M., Ebert, D (2018). Patient’s experience with blended video- and internet based cognitive behavioural therapy service in routine care. Internet Interventions, Volume 12, pages 165-175. doi: 0.1016/j.invent.2018.01.003
    2. Van der Vaart, R., Witting, M., Riper, H., Kooistra, L., Bohlmeijer, E., van Gemert-Pijnen, L (2014). Blending online therapy into regular face-to-face therapy for depression: content, ratio and preconditions according to patients and therapists using a Delphi study. BMC Psychiatry, 14:355. doi: 10.1186/s12888-014-0355-z
    3. Baumeister, H., Grässle, C., Ebert, D., Krämer, L (2018). Blended Psychotherapy – verzahnte Psychotherapie: Das Beste aus zwei Welten? PiD – Psychotherapie im Diaglog, 19:33-38. doi: 10.1055/a-0592-0264
    4. Bielinski, L., Trimpop, L., Berger, T (2021). Die Mischung macht’s eben? Blended-Psychotherapie als Ansatz der Digitalisierung in der Psychotherapie. Der Psychotherapeut, Ausgabe 5/2021, Seite 447-454. doi: https://doi.org/10.1007/s00278-021-00524-3 
    5. Wentzel, J., van der Vaart, R., Bohlmeijer, E., van Gemert-Pijnen, J (2016). Mixing Online and Face-to-Face Therapy: How to Benefit From Blended Care in Mental Health Care. JMIR Mental Health, volume 3. doi: 10.2196/mental.4534
    6. Fuhr, K., Fahse, B., Hautzinger, M., Gulewitsch, M (2018). Erste Erfahrungen zur Implementierbarkeit einer internetbasierten Selbsthilfe zur Überbrückung der Wartezeit auf eine ambulante Psychotherapie. Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie, 68(6):234-241. doi: 10.1055/s-0043-122241  
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