Frau Franken, ich freue mich Sie kennen zu lernen! Sie sind als Fachärztin für Innere Medizin in einem hausärztlichen MVZ tätig. Mich würde interessieren, was für Sie die größten Herausforderungen in Ihrem Praxisalltag darstellen?
Jasmin Franken: Ich bin vor zwei Jahren in die ambulante Praxis gegangen, nachdem ich vorher fünf Jahre im Krankenhaus tätig war, was ein großer Wechsel war. Außerdem habe ich die Region gewechselt. Das heißt auch, ich kenne die Fachärzte in der Gegend noch nicht gut und habe noch nicht die Kontakte, die andere haben, wodurch es häufig schwierig ist, einen Termin für meine Patienten zu bekommen. Im psychologischen Bereich ist das sogar noch schwieriger. Am Anfang habe ich versucht, einen psychologischen Termin mit einem Dringlichkeitscode über die 116117 zu erhalten. Aber ein Einzeltermin bringt im psychologischen Bereich gar nichts. Deshalb habe ich das wieder aufgegeben und bin dann auf die Möglichkeit der DiGA gestoßen. Damit bekommen die Patienten sehr zeitnahe Hilfe.
Am Anfang hat das Freigeben der Krankenkasse länger gedauert, das hat sich zum Glück deutlich gebessert, die Patienten können jetzt sehr schnell anfangen. Wenn sie zu mir kommen, brauchen sie meistens schnelle Hilfe und nicht erst in einem halben Jahr oder Jahr, bis sie endlich einen Therapeuten vor Ort haben.
Das kann ich alles sehr gut nachvollziehen. Haben Sie das Gefühl, dass es in der letzten Zeit zunehmend mehr Patienten mit psychischen Beschwerden werden?
Jasmin Franken: Ich denke schon, dass das mehr wird. Ich kann natürlich nicht sagen, wie es vor zehn Jahren in der Praxis war, da ich zu dieser Zeit noch nicht selbst in der Praxis tätig war. Man merkt aber auch im Umfeld, dass psychische Beschwerden durchaus mehr werden. Auch die Belastungen der Gesellschaft werden mehr – die Leistungsgesellschaft, Corona, Krieg. Alles mögliche, was einen total niederschmettern kann und auch immer mehr Leute betrifft.
Mich würde noch genauer interessieren, wie Sie auf digitale Gesundheitsanwendungen aufmerksam geworden sind und was Sie dann dazu bewegt hat, DiGA zu verschreiben.
Jasmin Franken: Ich glaube, das war beim Internistenkongress. Da waren verschiedene Anbieter von DiGA, unter anderem auch HelloBetter. Dort habe ich mich informiert, habe mir auch Testzugänge geben lassen und in die DiGA reingeschaut, weil ich wissen möchte, was ich verschreibe. Ich habe nicht viel Zeit, in die Tiefe rein zu schauen, aber ein erster Blick hat mich überzeugt. Es ist natürlich nicht für jeden was. Ich habe auch schon DiGA verschrieben und der Patient hat dann gesagt, dass er doch jemanden brauche, der vor ihm sitze und das am Handy nicht ausreichend helfe. Für viele ist es aber eine sehr gute Sache. Mit der Zeit lernt man, zu welchen Patienten DiGA passen und zu welchen vielleicht eher nicht.
Ich würde ganz gerne ein bisschen mehr darüber sprechen, wie Sie DiGA in Ihrem Praxisalltag nutzen und welche Vorteile Sie für sich als Fachärztin und in ihrem Behandlungsalltag in der Praxis sehen.
Jasmin Franken: Ich kann die psychischen Probleme der Patienten einfach nicht so gut behandeln. Ich habe zwar die Weiterbildung in psychosomatischer Grundversorgung gemacht, aber so viel bringt das meistens nicht. Die Patienten brauchen Hilfe, wenn sie bei mir sind. Wenn sie ein Jahr warten, bis sie Hilfe bekommen, dann ist das häufig zu spät. Im schlimmsten Fall werden die Beschwerden immer schlimmer und es kann leider auch nicht jeder in eine Klinik, weil die auch überlaufen sind. Daher sind DiGA für mich eine gute Möglichkeit, den Patienten sofort etwas anzubieten. Die Patienten haben so schnell etwas an der Hand, das ihnen hilft und können bei Bedarf trotzdem noch nach einem Face-to-Face-Therapieplatz suchen.
Haben Sie denn das Gefühl, durch DiGA eine Entlastung in Ihrem Alltag zu erleben ?
Jasmin Franken: Da ich DiGA schon relativ von Anfang an – seit ich in der Praxis bin – nutze, kann ich nicht genau sagen, inwiefern es eine Entlastung gegenüber der Praxis ohne DiGA ist. Ich erlebe aber durchaus eine Entlastung dadurch, dass ich die psychologische Betreuung der Patienten nicht so sehr selbständig übernehmen muss, bis sie beim Therapeuten sind, da diese dann innerhalb der HelloBetter DiGA stattfindet.
Wenn wir auf die Patientenperspektive schauen, was für Vorteile sehen Sie da?
Jasmin Franken: Abgesehen davon, dass die Patienten viel schneller Hilfe bekommen, sind sie auch flexibler.
Sie können, egal wo sie sind und wann sie wollen, das Therapieprogramm durchführen. Egal ob sie es abends zu Hause, am Wochenende, im Urlaub durchführen möchten, sie haben jederzeit und überall die Möglichkeit, die DiGA am Handy durchzuführen.
Es ist eine gute Sache, dass sie nicht eingeschränkt sind. Wenn man Vollzeit arbeitet, ist es schwierig, da ein Therapeut auch nicht unbedingt spät abends noch Sitzungen machen möchte. Das heißt, dass man schauen muss, ob man Urlaub oder eine Krankmeldung bekommen kann, um dann zur Therapiesitzung zu gehen. Am Handy oder Computer ist das viel besser möglich.
Das stimmt natürlich, das geht immer und überall. Haben Sie von Patientinnen und Patienten bereits direktes Feedback bekommen?
Jasmin Franken: Ich frage bei den Patienten oft beim nächsten Termin nach, wie sie die Arbeit mit der DiGA finden. Manche kommen aber auch länger gar nicht. Viele sagen, dass ihnen die DiGA geholfen und gute Denkanstöße gegeben hat und dass sie einige Inhalte in den Alltag implementiert haben. Manche geben aber auch das Feedback, dass sie jemanden vor Ort brauchen. Also es gibt solche und solche, aber im Großen und Ganzen geben die meisten Patienten positive Rückmeldung.
Haben Sie Feedback von Ihren Patient:innen dazu bekommen, wie wohl sie sich damit fühlen, online Informationen einzugeben? Es könnte ja sein, dass Patient:innen Vorbehalte haben, dass jemand mitlesen kann.
Jasmin Franken: Ich hatte erst einen Patienten, der DiGA nicht nutzen wollte, da seine Angaben gelesen werden können. Er ließ sich dann auch nicht davon überzeugen, dass das datenschutzrechtlich alles ordentlich zugeht. Manche bevorzugen den Face-to-Face-Therapieplatz, müssen aber dann aber leider eine ganze Zeit lang warten.
Was mich auch noch sehr interessieren würde, ist, wie Sie DiGA ganz konkret in Ihrem Praxisalltag einsetzen.
Jasmin Franken: Ich habe zum einen einige Flyer im Wartezimmer liegen, und manche kommen dann direkt damit zu mir und möchten darüber reden. Bei den meisten ist es aber doch eher so, dass sie mit sehr unspezifischen Beschwerden kommen. Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schlafstörungen, Brustschmerzen, etc. Wenn ich dann mit den Patienten spreche, stelle ich oft fest, dass dahinter eher ein Burnout oder eine Panikstörung steckt, die sich durch körperliche Beschwerden zeigt. Die Patienten nehmen das oft gar nicht so wahr, weil sie nicht verstehen, was in ihrem Körper vorgeht. Viele, die unter Druck stehen, unterdrücken den Stress oft und kommen, weil sie Kopfschmerzen haben. Der eigentliche Grund für die körperlichen Beschwerden ist aber, dass der riesige Berg an Belastungen sie erdrückt. Wenn man das in Ruhe mit den Patienten aufarbeitet, kommen sie meistens irgendwann zur Einsicht, dass es vielleicht psychisch bedingt ist und dann biete ich ihnen eine DiGA an. Die meisten sind dann sehr offen und möchten es versuchen.
So wie es für mich klingt, verschreiben Sie DiGA oft erst mal als alleinige psychologische Behandlung? Ist es dann häufig als Überbrückung der Wartezeit gedacht oder schauen Sie im weiteren Verlauf, ob die DiGA alleine oder begleitend zu einer anderen Behandlung reicht?
Jasmin Franken: Bei den meisten reicht eigentlich eine DiGA durchaus. Nur bei denen, die wirklich sehr schwer belastet sind, die dann vielleicht auch längerfristig krankgeschrieben sind, sage ich, dass sie doch mal bei der Krankenkasse und Therapeuten anrufen sollen.
Haben Sie vielleicht einen konkreten Patientenfall im Kopf, anhand dessen Sie mir skizzieren können, wie ein typischer Fall abläuft?
Jasmin Franken: Ja. Eine Patientin Ende 40 kam mit Bauchschmerzen und Übelkeit zu mir. Im Gespräch hat sich dann herausgestellt, dass ihre Beschwerden immer dann angefangen haben, wenn sie an die Arbeit gedacht hat. Sie hat einige Male für drei Tage eine Krankmeldung bekommen und auf einmal war alles okay, weil sie an dem Tag nicht mehr zur Arbeit musste. Im weiteren Gespräch hat sich gezeigt, dass der Stress auf der Arbeit mit Mobbing dazu geführt hat, dass es ihr psychisch schlecht ging. Gezeigt hat sich die Belastung aber körperlich. Ich habe ihr angeboten, dass sie eine DiGA nutzen kann, um diesen Berg an Belastungen zu bearbeiten. Denn es war nicht nur die Arbeit, sondern auch zu Hause haben sich die Probleme aufgestaut. Durch die DiGA konnte sie lernen, die Probleme in kleinen Schritten anzugehen und auch Aufgaben zum Beispiel an ihren Mann abzugeben. Sie war sehr, sehr gut versorgt mit der DiGA und brauchte dann auch keine weitere Hilfe.
Sind Stress und Burnout-Beschwerden die hauptsächlichen Fälle, bei denen Sie DiGA verschreiben?
Jasmin Franken: Ja, hauptsächlich, vereinzelt aber auch bei Panikstörungen und Schlafstörungen. Ich versuche jetzt auch ein bisschen häufiger daran zu denken, DiGA bei chronischen Schmerzen zu verschreiben.
Gerade bei psychischen Erkrankungen, wo ich einfach in der Behandlung nicht so gefestigt bin, sind DiGA etwas, das ich gerne nutze. Psychotherapie kann ich nämlich in der Sprechstunde überhaupt nicht leisten, dafür ist ja gar kein Raum und nicht genug Zeit.
Es gibt doch bestimmt einige Patient:innen, die noch nichts von DiGA gehört haben oder vielleicht erst mal ein bisschen zurückhaltend sind, wenn der Vorschlag kommt. Wie erklären Sie diesen Patient:innen, was DiGA sind und warum sie für Sie geeignet sein könnte?
Jasmin Franken: Ich sage diesen Patienten, dass digitale Gesundheitsanwendungen Therapieprogramme sind, die man am Handy, aber auch am Computer durchführen kann. Dass es sich dabei um eine Verhaltenstherapie handelt, die auf eine digitale Anwendung angepasst wurde und dass es ganz ähnliche Inhalte sind, wie auch in einer Psychotherapie, bei der jemand gegenübersitzt – nur eben ohne, dass da ein Mensch direkt gegenüber ist. Ich sage aber auch, dass man eben trotzdem einen Ansprechpartner und durchaus Kontakt zu Psychologen hat und das nicht einfach nur ein Roboter ist, der da mit einem kommuniziert. Die meisten Patienten, für die DiGA in Frage kommen sind zwischen 20 und 50 und digital schon so weit, dass sie das verstehen und akzeptieren.
Haben Sie auch Feedback zu der psychologischen Begleitung bei HelloBetter bekommen?
Jasmin Franken: Ich hatte nur einen Patienten, der das Gefühl hatte, dass das alles automatisiert ist und dass da kein Mensch dahintersteckt. Die meisten Patienten sind aber sehr positiv. Eine Patientin meinte zum Beispiel, dass sie es schön fand, dass sie von der Psychologin immer wieder die Ermunterung und ein positives Feedback bekommen hat. Die meisten sind schon sehr angetan.
Gibt es denn sonst noch irgendwas, was Sie gerne noch loswerden möchten, was vielleicht vor allem für Ärztinnen und Psychotherapeutinnen wichtig sein könnte?
Jasmin Franken: Einfach DiGA mal ausprobieren und den Patienten die Optionen geben, die die heutige Zeit bietet, anstatt ihnen das vorzuenthalten! Das wäre doch sehr schade für die Patienten.
Ein schönes Schlusswort! Dann bedanken wir uns recht herzlich für das spannende Gespräch und für den schönen Einblick, wie DiGA im hausärztlichen MVZ zum Einsatz kommen.
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