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DiGA in der Sexualtherapie: Ein Interview mit Charlotte Hoffmann und Charlotte Kirchhoff

Können DiGA in die Gynäkologie oder Sexualtherapie integriert werden? Zu diesem Thema haben wir mit Charlotte Hoffmann und Charlotte Kirchhoff gesprochen. Charlotte Hoffmann ist Ärztin, Psychologin (B. Sc) und Sexualtherapeutin. Sie berichtet uns im Interview von typischen Herausforderungen, Scham und Ängsten in der Sexualtherapie. Charlotte Kirchhoff ist Psychologin und Supervisorin im Team von HelloBetter. Als Expertin für Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) und das Online-Therapieprogramm HelloBetter Vaginismus Plus erläutert sie, wie DiGA in der Sexualtherapie eingesetzt werden können.

Liebe Frau Hoffmann, liebe Frau Kirchhoff. Könnt Ihr euch kurz vorstellen und eure Hintergründe erläutern? 

C. Kirchhoff: Ich bin Psychologin und arbeite als psychologische Psychotherapeutin i.A. in einer Gemeinschaftspraxis in Leipzig. Neben der ambulanten Tätigkeit bin ich als Supervisorin bei HelloBetter tätig. Dort bin ich die Ansprech­partnerin für das psychologische Team, kümmere mich um die inhaltliche Einarbeitung, wirke an Coaching- und Content-Konzepten mit, leite Intervisionsgruppen, führe Qualitätsmanagements durch und gebe Workshops zu psychologischen Themen. Mein absolutes Herzensprojekt ist das Online-Therapieprogramm HelloBetter Vaginismus Plus. Im Rahmen meiner Masterarbeit im Psychologie-Studium durfte ich Teil der Forschungsgruppe sein, die den Kurs entwickelt und evaluiert hat. Da sexuelle Probleme immer noch so ein großes Tabuthema sind, gibt es auch nur sehr wenige spezialisierte Behandlungsmöglichkeiten, die leicht und kostenfrei zur Verfügung stehen. Deswegen bin ich heute sehr froh, dass wir mit HelloBetter Vaginismus Plus ein Angebot geschaffen haben, das wissenschaftlich geprüft ist und allen Betroffenen kostenfrei zur Verfügung gestellt werden kann. 

C. Hoffmann: In meinem Bachelor in Psychologie sprach mich das Thema Sexualität und Beziehungen besonders an, weil es einen sehr vertrauten und einzigartigen Zugang zu Menschen ermöglicht und sich darüber sehr grundlegende Lebensthemen erschließen lassen. Ich habe dann ehrenamtlich viele Jahre Sexualaufklärung an Schulen angeboten und war viel in studentischen Gruppen rund um diesen Themenkomplex aktiv. Aus dem Wunsch heraus mehr über den Körper zu erfahren, habe ich mich dann noch für ein Medizinstudium entschieden und dort den Schwerpunkt auf das Thema beibehalten und sexualtherapeutische Weiterbildungen absolviert. Währenddessen habe ich weiterhin viel ehrenamtlich organisiert und für die Schweizer Sexualaufklärungswebseite lilli.ch zu arbeiten begonnen, später auch bezahlt. Ich bin jetzt Ärztin und arbeite seit November 2021 im Praxisteam von Dr. Melanie Büttner, die als Pionierin in Deutschland Sex und Trauma zusammendenkt und in Therapie vereinen möchte. Ich finde Forschung sehr spannend und bereichernd und bin zusätzlich in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. med. Tillmann Krüger, Leiter der sexualmedizinischen Sprechstunde im Präventionsprojekt Dunkelfeld an der Medizinischen Hochschule Hannover, um meine aktuell noch laufende Doktorarbeit zu beenden.

Welche sind die typischen Vorstellungsgründe in der Sexualtherapie? Stellen sich eher Paare oder Einzelpersonen vor? 

C. Hoffmann: Bei mir stellen sich ungefähr 60 Prozent Einzelpersonen und 40 Prozent Paare vor. Die typischen Gründe, warum sich Menschen für eine Sexualtherapie entscheiden, variieren stark, umfassen aber häufig Probleme wie Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, erektile Dysfunktion, vorzeitigen Samenerguss, störende Phantasien, Schwierigkeiten beim Orgasmus. Aber auch Kommunikationsschwierigkeiten, unterschiedlich starkes sexuelles Verlangen zwischen den Paaren, der Umgang mit Seitensprüngen, nicht endende Streits, sexuelle Orientierungsfragen oder Identitätsfragen und sexuelle Traumata. Es ist wichtig anzumerken, dass dies nur einige der häufigen Vorstellungsgründe in der Sexualtherapie sind. Jeder Mensch und jedes Paar hat individuelle Bedürfnisse und Herausforderungen, die in einer therapeutischen Umgebung erörtert werden können.

Häufig sind Sexualität und Sexualstörungen mit Unsicherheiten und Scham verbunden, was zur großen Leidensquelle werden kann. Wie häufig sind Stigmata in der Sexualtherapie und wie wirken sie sich auf Menschen aus, die Probleme mit ihrer Sexualität haben? 

C. Hoffmann: Sexualität und Sexualstörungen sind oft von Unsicherheiten und Scham geprägt, was für die Betroffenen eine erhebliche Belastung darstellen kann. Stigmata spielen in der Sexualtherapie leider eine sehr häufige Rolle und können sich nachteilig auf die Menschen auswirken, die auf Schwierigkeiten mit ihrer Sexualität stoßen. Wir haben alle Glaubenssätze zu allen möglichen Themen, auch im Bereich Sexualität. Manche waren mal hilfreich, manche sind noch hilfreich, andere nicht. Es ist ja auch ein Glaubenssatz zu sagen „Ich muss mich beim Sex vor einer Infektion mit sexuell übertragbaren Erkrankungen schützen.“ Das kann hilfreich sein, kann aber auch dazu führen, dass ich mich vor Angst gar nicht traue, in sexuellen Kontakt mit anderen zu gehen.

Jetzt gibt es gerade beim Thema Sexualität noch eine Vielzahl von devalidierenden, beschämenden, lustfeindlichen Glaubenssätzen, die sich an engen Geschlechter-, Alters-, ableistischen und noch vielen anderen Normen orientieren. Diese können zu erheblichem Stress, geringem Selbstwertgefühl und psychischer Belastung führen. Sie können auch zu Isolation und Diskriminierung von Menschen führen, was sich wiederum auf ihre psychische Gesundheit, ihre Beziehungen und ihren Zugang zu Behandlungen auswirkt.

Wie lange leiden Betroffene im Schnitt, bevor sie sich Hilfe suchen? 

C. Kirchhoff: Studien weisen darauf hin, dass 5 bis 11 Jahre vergehen zwischen dem ersten Auftreten von Symptomen und dem ersten Behandlungskontakt und dass 1 von 5 Frauen in ihrem Leben unter Schmerzen beim Sex leiden. Leider suchen nur die Hälfte der Frauen, die chronische Schmerzen im Vaginalbereich haben, eine Behandlungsmöglichkeit. Und nur etwa 20 Prozent der Frauen, die ein sexuelles Problem haben, reden tatsächlich mit einem Arzt oder einer Ärztin darüber; lediglich 1 – 8 Prozent der betroffenen Frauen kümmern sich deswegen um psychologische Hilfe. Im Umkehrschluss findet aufgrund mangelnder Fachkenntnisse, Symptom-Überlappungen und Berührungsängsten seitens der Behandelnden häufig keine ausreichende diagnostische Abklärung über das Sexualleben der Betroffenen statt.

Hinzu kommt, dass viele Frauen, die unter Schmerzen beim Sex leiden, ihre Symptome nicht einordnen können, da sie nicht wissen, dass es sich dabei um eine psychische Störung, wie z.B. Vaginismus, handeln kann. Auch Stigmata und Gefühle von Scham, Schuld und Angst, unter der die betroffenen Frauen leiden, führen zu einer verminderten Inanspruchnahme von professioneller Hilfe. Außerdem führt das Schweigen besonders dann zu Schwierigkeiten, wenn sich Probleme im Sexualleben ergeben, die sich umso stärker verfestigen, je länger sie unbehandelt bleiben. In dem Fall können sexuelle Probleme eine Minderung der Lebensqualität zur Folge haben und gehen oftmals mit weiteren psychischen Erkrankungen einher, wie Depressionen, chronischen Schmerzsyndromen oder Angsterkrankungen. Diese wiederum können eine Entstehung oder Aufrechterhaltung der sexuellen Probleme begünstigen.

C. Hoffmann: Diese Beobachtung deckt sich mit meinen bisherigen Erfahrungen: Viele Menschen neigen eher dazu, länger zu warten. Oft wissen sie nicht, dass sie sich Hilfe suchen können, oder sie wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen. Schließlich ist es auch wichtig zu bedenken, dass die Kosten für die Sexualtherapie nicht immer übernommen werden, was eine weitere Hürde für den Zugang zu Behandlungen darstellt. 

Welche Rolle spielt Aufklärung und Sensibilisierung, um Stigmata rund um Sexualprobleme wie etwa Vaginismus abzubauen? 

C. Hoffmann: Aufklärung und Sensibilisierung spielen eine entscheidende Rolle bei der Reduzierung von Stigmata im Zusammenhang mit Sexualproblemen. Indem das Bewusstsein für sexuelle Gesundheit und für die Vielfalt sexueller Probleme erhöht wird, können Vorurteile und Missverständnisse abgebaut werden. Öffentliche Bildungsprogramme, Kampagnen und eine offene Diskussion in den Medien, an der alle teilhaben können, tragen dazu bei, das Verständnis und die Akzeptanz von sexuellen Problemen zu fördern. Viele Personen leisten dabei oft eine großartige und unbezahlte Arbeit trotz aller Widerstände, Verwunderung und Empörung. Dies ermöglicht Betroffenen den Zugang zu Informationen, Unterstützung und angemessener Behandlung.

Wie hängen psychische und körperliche Aspekte in der Sexualtherapie zusammen? Welche Bedeutung kommt der Integration von psychologischer Unterstützung und körperlichen Übungen in der Behandlung von sexuellen Problemen zu? 

C. Hoffmann: Die Verbindung zwischen psychischen und körperlichen Aspekten in der Sexualtherapie ist eng und komplex. Heute wird in der Regel das bio-psycho-soziale Modell angenommen, welches die Wechselwirkung zwischen biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren bei Gesundheit und Krankheit berücksichtigt. In der Sexualtherapie spielt die Integration von psychologischer Unterstützung und körperlichen Übungen eine zentrale Rolle und sollte zum Standard gehören. Die Bedeutung dieser Integration ist jedoch sicherlich von der behandelten Person und ihrem spezifischen Problem sowie dem Ausbildungshintergrund des Therapeuten oder der Therapeutin abhängig. Für weitere Informationen zu diesem Thema empfehle ich gerne eine großartige Podcast-Folge von ZEIT Gesundheit. Sie beleuchtet das Thema Schmerzen beim Sex, was thematisch gut zur DiGA passt. In der Episode werden sowohl körperliche Ursachen wie Endometriose oder Lichen Ruber als auch psychische Aspekte der Schmerzerfahrung diskutiert.

Seit einiger Zeit stehen zur Behandlung von verschiedenen somatischen und psychischen Erkrankungen auch Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) in der Versorgung zur Verfügung – so auch Anwendungen zur Behandlung von sexuellen Funktionsstörungen. HelloBetter hat eine DiGA zur Behandlung von Vaginismus und Dyspareunie entwickelt. Frau Kirchhoff, können Sie uns näher erklären, was es mit diesem Online-Therapieprogramm auf sich hat?

C. Kirchhoff: Als Soforthilfe bei nichtorganischem Vaginismus und der nichtorganischen Dyspareunie kann eine im BfArM-Verzeichnis gelistete DiGA auf Rezept verschrieben werden. Die DiGA HelloBetter Vaginismus Plus basiert auf den bewährten Methoden der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) und umfasst insgesamt 8 Kurseinheiten sowie eine Auffrischungseinheit. Innerhalb des Online-Therapieprogramms wird psychoedukatives Wissen über die Symptome, die Ursachen, den weiblichen Körper sowie wirksame Strategien vermittelt, die dabei unterstützen können, besser mit den Beschwerden umzugehen. Zahlreiche Übungen helfen Betroffenen dabei, alleine oder gemeinsam mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin Schritt für Schritt mit dem Thema verbundene Ängste und Schwierigkeiten zu bewältigen und sich mit dem eigenen Körper, der eigenen Sexualität, insbesondere der sexuellen Lust und Erregung, auseinanderzusetzen. Dazu gehören unter anderem Strategien im Umgang mit belastenden Gedanken und Gefühlen, Entspannungs- und Beckenbodenübungen, Sensualitätstraining (Sensate Focus) sowie schrittweise vaginale Einführungsübungen mit Finger(n) und Dilatoren. Das Online-Therapieprogramm kann mit, aber auch ohne einen (Sexual-)Partner oder -partnerin durchgeführt werden. 

Wie können Digitale Gesundheitsanwendungen in der Sexualtherapie eingesetzt werden? 

C. Kirchhoff: HelloBetter Vaginismus Plus eignet sich zum einen als begleitende Therapie während einer laufenden Behandlung, sowohl bei psychotherapeutischer als auch gynäkologischer Behandlung, aber auch zur Überbrückung der Wartezeit auf eine ambulante Psychotherapie. Ein großes Potenzial dieser DiGA liegt beispielsweise im begleitenden Einsatz zu einer Psychotherapie, die primär aufgrund einer anderen psychischen Erkrankung (z. B. Depression) aufgesucht wurde. Sollte ein Vaginismus oder Dyspareunie komorbid vorliegen, kann diese durch die DiGA HelloBetter Vaginismus Plus parallel angemessen behandelt werden. 

Das Therapieprogramm wird durch die Begleitung von qualifizierten Psychologinnen ergänzt – jede Patientin bekommt eine eigene Psychologin (weiblichen Geschlechts) als Ansprechpartnerin, die nach jeder Einheit schriftliches Feedback gibt und bei Schwierigkeiten via Nachrichtenfunktion jederzeit unterstützen kann. Innerhalb der Einheiten stehen den Patientinnen außerdem drei fiktive Beispielpersonen als Kurspartnerinnen zur Seite, die Unterstützung leisten und für Verbundenheit sorgen können.

Vaginismus und Dyspareunie werden aktuell noch separat im ICD-10 betrachtet. Im ICD-11 sieht das aber anders aus. Was wird sich verändern und wie schätzen Sie diese Veränderung ein?

C. Hoffmann: Die bisher noch separat stehenden Diagnosen Diagnosen „nichtorganischer Vaginismus” (ICD-10 F52.5) und „nichtorganische Dyspareunie” (ICD-10 F52.6) werden zukünftig im ICD-11 als „Sexuelle Schmerz-Penetrationsstörung” (ICD-11 HA20.0-.3) zusammengefasst und dem Unterkapitel „Sexuelle Schmerzstörungen” zugeordnet. Im DSM-5 wird diese bereits als „Genito-Pelvine Schmerz-Penetrationsstörung” aufgeführt. Diese Änderung spiegelt das zunehmende Verständnis wider, dass diese Bedingungen oft miteinander verbunden sind und ähnliche Behandlungsansätze erfordern. Die Forschung zu diesen Erkrankungen ist fortlaufend und daher tragen neue Erkenntnisse zu einer Weiterentwicklung des Verständnisses, der Klassifikation und der Behandlung bei. 

C. Kirchhoff: Genau, die Veränderung der Klassifikation wurde vor allem deswegen notwendig, da die Krankheitsbilder der beiden Störungen nicht eindeutig diagnostisch zu differenzieren waren und eine hohe Überlappung der beiden Störungsbilder bestand.

Haben Sie bereits Erfahrungen mit diesen Erkrankungsbildern gemacht und wie schätzen Sie das Potential der DiGA in deren Behandlung ein?

C. Hoffmann: Ja, ich habe ich bereits mit diesen Erkrankungsbildern zu tun gehabt und ich schätze das Potential Digitaler Gesundheitsanwendungen in deren Behandlung als sehr hoch ein.

Sie können eine konstante und niederschwellige Unterstützung und Anleitung bieten, die den Patientinnen verdeutlicht: „Auch wenn du gerade damit zu kämpfen hast, kann es wieder besser werden. Ich unterstütze dich in dem, was ich kann und begleite dich in dem Tempo, was dir entspricht.” Und sie sind für die Nutzerinnen kostenfrei und immer verfügbar, anders als Gespräche mit Therapeuten und Therapeutinnen.

Außerdem kann es für Menschen, die Schmerzen im Genitalbereich haben, sehr wichtig sein zu wissen, dass sie nicht allein sind. Eine speziell dafür entwickelte Anwendung kann dazu beitragen, dieses Bewusstsein zu stärken und das Gefühl der Isolation zu mindern. Es kann Menschen ermutigen und ihnen Hoffnung geben, wenn sie sehen, dass es spezielle Hilfsmittel und Unterstützung für ihre Probleme gibt.

Welche Vorteile bieten Digitale Gesundheitsanwendungen für Patientinnen und Patienten?

C. Kirchhoff: DiGA erreichen Menschen, die eine Vor-Ort-Psychotherapie nicht in Anspruch nehmen können oder wollen. Sie haben zudem den großen Vorteil, dass sie eigenständig sowie orts- und zeitunabhängig – beispielsweise über Computer, Laptop oder als Smartphone-App – genutzt werden können. So ermöglichen sie einen selbstbestimmten Umgang mit einer Erkrankung, fördern die Gesundheitskompetenz und können das Selbstvertrauen der Nutzenden stärken. Der niedrigschwellige Zugang kann dazu beitragen, Hemmungen und Schamgefühle zu reduzieren und somit die Inanspruchnahme von wirksamen Behandlungsmöglichkeiten zu fördern.

DiGA können für sich allein genommen wirksam sein, eine Psychotherapie aber auch gut vorbereiten (z. B. während der Wartezeit auf einen Psychotherapieplatz) oder ergänzen. 

Neben den Vorteilen für Betroffene können auch die Behandelnden von DiGAs profitieren. Durch die Integration von digitalen Tools und Ressourcen können sie die Effizienz ihrer Arbeit steigern und gleichzeitig die Qualität der Betreuung verbessern.

Sie möchten mehr zu Digitalen Gesundheitsanwendungen und ihren Einsatzmöglichkeiten erfahren? In unserem DiGA-Leitfaden finden Sie kompakt alle wichtigen Informationen.

Gibt es bestimmte Herausforderungen, die bei der Integration von DiGA in der Therapie und speziell der Sexualtherapie beachtet werden sollten?

C. Hoffmann: Gerade traumatisierte Anwenderinnen und Anwender brauchen oft auf sie zugeschnittenere Unterstützungsangebote. Viele wollen unbedingt „funktionieren” und die einzelnen Module der DiGA schnell abarbeiten, was zu Überforderung, Ohnmachtsgefühlen und weiterer Selbstabwertung führen kann.

Eine weitere Herausforderung ist sicherlich die Möglichkeit, dass Patientinnen und Patienten nach Verschreibung ausschließlich mit der Digitalen Gesundheitsanwendung arbeiten und dabei den Kontakt zu medizinischen Fachkräften verlieren. Es ist wichtig zu bedenken, dass DiGA ergänzende Tools sind und sie den persönlichen Kontakt zu medizinischen Fachkräften, medizinische Abklärung oder Behandlung nicht ersetzen können. Es kann weiterhin oder zusätzlich gesundheitliche Probleme geben, die eine medikamentöse oder chirurgische Therapie benötigen, wie Vulvakarzinome, Endometriose oder Lichen sclerosus. Bei der Integration digitaler Anwendungen in die Therapie sollte immer darauf geachtet werden, dass diese den persönlichen Kontakt zu medizinischen Fachkräften und die notwendige medizinische Versorgung nicht ersetzen.

Gibt es bestimmte Bereiche, in denen digitale Anwendungen besonders hilfreich sein können? Welche DiGA würden Sie sich für die Zukunft wünschen? 

C. Kirchhoff: Ich bin sehr froh, dass es mittlerweile immer mehr DiGA im Bereich psychischer Gesundheit gibt, da so die große Versorgungslücke besser gefüllt und die Hemmschwelle, professionelle Hilfe aufzusuchen, reduziert wird. Es kann ein guter, erster Schritt sein, etwas für sein psychisches Wohlbefinden zu tun. Denn häufig gelangen die Betroffenen von psychischen Erkrankungen viel zu spät in die Versorgungslandschaft. Eine präventive und aufklärende Arbeit ist hier essentiell. Deswegen begrüße ich alle DiGA, die in diesem Bereich entstehen. Ein großer Wunsch wäre, dass diese DiGA auch auf Englischer Sprache zur Verfügung gestellt werden, damit auch nichtmuttersprachliche Personen in Deutschland darin Verwendung finden können. 

C. Hoffmann: Digitale Gesundheitsanwendungen können in zahlreichen Bereichen eine wertvolle Hilfe darstellen. Im sexualtherapeutischen Bereich sehe ich ein besonders großes Potenzial für Anwendungen, die sich auf Personen mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und deren spezifische Herausforderungen im Zusammenhang mit Sexualität konzentrieren.

Personen mit ADHS fällt es oft schwer, in sich hineinzufühlen und zu erkennen, was sie wirklich wollen. Eine DiGA, die solche Individuen darin unterstützt, einen Prozess der inneren Reflexion und Selbstentdeckung zu durchlaufen, könnte extrem hilfreich sein, natürlich auch für neurotypische Menschen. Dies könnte beispielsweise Übungen beinhalten, die dazu anleiten, die Dinge im eigenen Körper wahrzunehmen und herauszufinden, was man möchte. Eine weitere relevante Idee für eine DiGA im sexualtherapeutischen Bereich wäre meiner Meinung nach eine Anwendung, die hilft, mit störenden oder sich aufdrängenden Fantasien umzugehen.

„Insgesamt bieten digitale Anwendungen eine Fülle von Möglichkeiten zur Unterstützung und Verbesserung der Gesundheitsversorgung. Ich bin gespannt, welche weiteren Entwicklungen die Zukunft in diesem Bereich bringen wird.”

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