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7 Strategien, wenn die Angst überhandnimmt

Aktuell bringen Krisen wie der Ukrainekrieg und die damit einhergehenden Veränderungen bei vielen Menschen alte oder neue Ängste hervor. Ganz gleich, ob dir das Gefühl von überhandnehmender, besitzergreifender Angst schon länger bekannt ist, oder ob du ganz neu damit konfrontiert wirst – lass uns einmal genauer hinschauen, was Angst eigentlich ist, wozu sie gut ist, und im nächsten Schritt, welche Strategien du anwenden kannst, wenn die Angst überhandnimmt.

Was ist Angst?

Zunächst einmal ist Angst nach Paul Ekman eine der 7 Basisemotionen oder Grundgefühle, das heißt, sie wird als ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen Daseins angesehen und gemeinhin als eine der Emotionen, die in allen Kulturen gleichermaßen anzutreffen sind. Weitere solche Basisemotionen sind zum Beispiel Wut, Ekel, Trauer, Verachtung, Freude und Überraschung.

Was heißt das? Im ersten Schritt, dass wir alle diese Gefühle haben. Sicherlich kann die Art und Weise, wie sie ausgedrückt werden, je nach Kultur unterschiedlich ausfallen, aber es gibt wohl keinen Menschen, der diese Gefühle nicht schon einmal erlebt hat.

Angst zu verspüren ist demnach ganz normal. Angst hat, wie die anderen Basisemotionen, eine grundsätzlich nützliche Funktion. So kann sie dich in gefährlichen Situationen zur Vorsicht mahnen, oder dir deine Grenzen signalisieren und dich um Hilfe bitten lassen. Es geht also nicht darum, Ängste loszuwerden, sondern sie in bestimmten Situationen und im richtigen Ausmaß da sein zu lassen und auch ernst zu nehmen.

Problematisch wird es erst, wenn die Angst in unangemessenen Situationen überhand nimmt, oder aber auch, wenn zu wenig Angst besteht und damit das gesunde Warnsystem außer Kraft ist. Gemünzt auf die zurückliegende Corona-Pandemie bedeutete zu viel Angst, dass du vielleicht gar nicht mehr aus dem Haus gegangen bist, weil du dich nicht anstecken wolltest. Oder dass du nicht einkaufen gehen wolltest, weil die masketragenden anderen dir Angst gemacht haben. Zu wenig Angst hätte andererseits dazu führen können, dass du dich unnötig in Gefahr begibst. Also zum Beispiel, indem du mit einer Großgruppe zusammen gefeiert und damit dich selbst und gar noch andere infiziert hättest.

Nicht jeder hat vor dem Gleichen Angst

Das Interessante an der Angst ist, dass sie zwar als Basisemotion bei allen Menschen gleich ist (das heißt, sich physisch in ähnlicher Weise äußert), aber von Mensch zu Mensch unterschiedliche angstauslösende Konzepte und Situationen zu Grunde liegen können. 

Das bedeutet: Nicht jeder hat vor dem Gleichen Angst. Während der eine im Aufzug in Angstzustände verfällt, macht das einem anderen gar nichts aus. Ein anderer aber hält es nicht mit einer Spinne im Raum aus oder kann nicht alleine im Dunklen sein. Es gibt Menschen, denen macht das Tragen der Mund-Nase-Schutzmasken zur Zeit absolut nichts aus. Ja, es ist nicht angenehm, aber es ist auch gar nicht schlimm. Sie gehen in die Akzeptanz – es ist so wie es eben gerade ist. 

Andere dagegen bekommen Angst, weil man schlechter atmen kann – vielleicht löst es bei manchen sogar eine Panikattacke aus. Wieder anderen macht es Angst, dass sie den Gesichtsausdruck der Menschen gegenüber nicht mehr vollständig erkennen können und ihnen daher ein Bewertungsmaßstab für die Gefährlichkeit einer Situation entfällt. Du siehst, es sind ganz unterschiedliche Dinge, die dem einen oder anderen Angst machen.

Wie kann dir dieser Gedanke weiterhelfen? 

Es ist nie die Situation selbst, die die Angst auslöst. Es ist immer – ganz wichtig: immer – deine eigene Interpretation der Situation.

Und hier können wir ansetzen, wenn du da hin gelangen möchtest, dass gewisse Situationen bei dir nicht mehr die dir bekannten Angstzustände auslösen.

Wir unterscheiden in der Psychologie zwischen zwei Arten von Strategien zur Angstbewältigung: kurzfristige und langfristige Strategien.

Kurzfristige Strategien

Kurzfristige Strategien helfen dir, in einer Akutsituation aus dem angstmachenden Gedankenkarussell auszusteigen. Eine solche kurzfristige Strategie kann sein, dass du zum Beispiel Beistand suchst, um aus einem Grübelkreislauf auszusteigen. Es ist in einer akuten Angst-Situation auch eine Möglichkeit, die angstauslösende Situation komplett zu vermeiden. Online zu bestellen statt im Gedränge einkaufen zu gehen. Das Zimmer mit der Spinne nicht betreten. Ein weiterer kurzfristig möglicher Ausweg aus der Angst ist Ablenkung – geh spazieren, höre Musik, widme dich irgendeiner anderen Tätigkeit, die dich vorübergehend beschäftigt hält.

Es schwingt allerdings schon mit: Das funktioniert nur vorübergehend. Irgendwann musst du doch einkaufen, möchtest doch das Zimmer wieder betreten, kannst nicht ununterbrochen am Telefon hängen. 

Ohne langfristig wirksame Strategien kommt die Angst dann zurück, in vielen Fällen halten diese kurzfristigen Strategien die Angst sogar aufrecht, weil sie nicht an der Ursache ansetzen, sondern deinem System suggerieren, dass deine Angst gerechtfertigt ist, die Situationen wirklich sehr schlimm sind.

Langfristige Strategien zur Bewältigung von Angst

Langfristige Strategien setzen an den Ursachen an und helfen daher, nachhaltig mit unserer Angst besser zu leben beziehungsweise diese zu reduzieren.

1Verlagere deinen Fokus von Innen nach Außen

Bei Angst richten wir häufig den ganzen Fokus nach Innen, auf unsere Gedanken, die Katastrophenszenarien, die unser Kopf sich ausdenkt, und unsere körperlichen panikartigen Reaktionen wie Herzrasen, Schweißausbrüche, Zittern usw.

Wenn du dich so auf deine Angst konzentrierst, gerätst du in einen Strudel, der dich weg lenkt von dem, was eigentlich gerade gegenwärtig IST. Es ist dann wichtig, dass du den Fokus auf die Wahrnehmung der Realität um dich herum richtest, um etwas anderes als die eigene Angst “für wahr zu nehmen”.

Das braucht etwas Übung, denn das ist am Anfang vielleicht gar nicht so leicht. Du kannst dir hierzu täglich eine kleine Aufgabe vornehmen:  

Stelle dich für 5 Minuten ans Fenster, schaue raus und beschreibe dir aufmerksam die Umgebung. Alles was du siehst, so detailliert wie möglich. Damit trainierst du, den Fokus nach außen zu richten. Stell dir am besten einen Wecker, und sei nicht streng mit dir, wenn du am Anfang häufig und schnell abschweifst – das ist normal. Nach und nach kannst du die Zeitspanne verlängern, oder auch ein anderes “Gebiet” auswählen, zum Beispiel indem du einen Achtsamkeitsspaziergang im Wald oder Stadtpark machst und alles um dich herum aufmerksam wahrnimmst.

So kannst du dich trainieren, im Hier und Jetzt zu sein und es wird dir auch in angstmachenden Situationen leichter gelingen, durch Wahrnehmung der Umgebung dein Gedankenkarussell zu stoppen.

2Verändere deine Interpretation der Situation

Erinnern wir uns: Es ist niemals die Situation, sondern die Interpretation, die ein Gefühl auslöst, in unserem Fall also, die dir Angst macht. 

Die gute Nachricht ist: Es ist durchaus möglich, die Interpretation einer Situation zu verändern, und zwar indem du deinem Unterbewusstsein die Möglichkeiten eröffnest, andere Interpretationen zu wählen.

Dazu kannst du angesichts einer angstmachenden Situation in zwei Schritten verfahren:

Im ersten Schritt schreibst du dir alles auf, was dir als negative, die Angst hervorrufende Gedanken einfallen. Nehmen wir also zum Beispiel das Tragen der Mund-Nasen-Schutzmasken. Da ist die Sorge, nicht genug Luft zu kriegen, das archaische Unbehagen, die Mimik der anderen nicht zu erkennen und daher eine Gefahrensituation falsch einzuschätzen, da ist die Unzufriedenheit, dass es von Außen auferlegt ist. Vielleicht auch das generelle Gefühl von Bedrohung, wenn um einen rum maskierte Menschen sind. All diese Interpretationsmöglichkeiten erkennst du an, indem du sie aufschreibst.

Im zweiten Schritt eröffnest du nun aber neue Möglichkeiten, und schreibst auf, wie du die Situation anders erleben könntest – im Zweifel, wie sie andere anscheinend erleben. Frage dich, wie du die Situation lieber erleben würdest, welche Interpretation dir dienlicher wäre. Dabei musst du nicht zum Maskenfan mutieren oder Spinnen plötzlich zu den putzigsten Tierchen erklären. Es reicht durchaus, wenn du Gedanken der Akzeptanz notierst wie “Es ist wie es ist”, “Es ist nur für kurze Zeit”, “Ich kann den Raum jederzeit verlassen”, oder auch positiv belegte Gedanke wie angesichts der Masken, “Ich schütze damit andere Menschen” oder “Wir zeigen damit Gemeingefühl und Rücksichtnahme”. 

Dadurch, dass du deinem System eine neue Option gibst, kann die Situation in der Zukunft als angenehmer oder wenigstens weniger unangenehm empfunden werden.

3Spreche dir selbst gut zu

Wenn du in die Situation gerätst, die üblicherweise deine Angst auslöst, suche dir einen liebevollen (imaginären) Begleiter. Gib diesem Begleiter die Aufgabe, dich zu unterstützen und dir gut zuzureden. Das geht auch, indem du selbst mit dir liebevoll redest und dich ermutigst, eine gewisse Tätigkeit zu tun. “Ich schaff das schon”, “Du hast schon schwierigere Situationen gemeistert”, “Du hast nichts zu verlieren” – und schon lässt ganz automatisch die Angst nach, ohne dass du dazu auf andere angewiesen bist.

4Lockere dich durch Atemübungen und Progressive Muskelentspannung

Bei Angst sind wir häufig angespannt und nehmen eine sehr enge, verkrampfte Körperhaltung ein. Das ist sozusagen eine Wechselwirkung, denn diese Habachthaltung signalisiert wieder deinem System, dass du in Alarmbereitschaft bist und Gefahr im Verzug ist.

Ein wirksames Tool, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist die Progressive Muskelentspannung, kurz PMR. Mit PMR kannst du ganz gezielt dagegen arbeiten und dich lockern. Wenn du das zum Beispiel 3x pro Woche 10 Minuten machst, erzielst du einen langfristigen Effekt. Es gibt tolle Übungsvideos im Internet, mit denen du lernen kannst, bei Angstanspannung den Körper wieder zu entspannen. 

Ganz ähnlich funktionieren Atemübungen, die den Körper in einen entspannten Zustand versetzen und ihn so schulen, das in Akutsituationen intuitiv ebenso abzurufen.

Das gibt auch dem Gehirn die Rückmeldung, dass die Angst nachlassen darf.

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5Erfahre Ruhe durch Meditation

In eine ähnliche Richtung geht Meditation. Meditation bezieht allerdings die Gedanken mit ein und trainiert, Gedanken einfach Gedanken sein zu lassen. Durch Meditation kannst du dir beibringen, dass du gar nicht unbedingt auf einen Gedanken, das heißt auf deine Interpretation einer Situation, reagieren musst (zum Beispiel mit Angst oder Flucht). Der Gedanke fordert nicht, dass eine Reaktion erfolgt, er vergeht auch so wieder und weicht einem anderen Gedanken. 

Auch das ist wieder eine Übungssache, mit der Zeit klappt das immer besser. Erwarte besonders gleich zu Beginn bei der Meditation keine Wunder. Hier darfst du gespannt und geduldig sein, Meditation kann man lernen. 

Zunächst ist es schon eine sehr gute Übung, 5 Minuten zu meditieren. Im Internet findest du viele geführte Meditationsvideos, zum Beispiel Die fünf Minuten Meditation für innere Ruhe oder eine Geführte Meditation für den Morgen als perfekten Start in den Tag.

6Übe dich in Akzeptanz

Es ist schon mehrfach in diesem Artikel angeklungen: Eine sehr wirksame Umgangsweise mit schwierigen Emotionen wie Angst ist es, sie zu akzeptieren. 

Klingt erst mal komisch, aber du kannst dir das vorstellen wie einen Ball, der auf dem Wasser schwimmt. Willst du ihn unter der Wasseroberfläche halten (also unterdrücken), ist das ganz schön anstrengend und kann auch nicht auf Dauer gelingen. Wenn du ihn dann loslässt, hat er viel Energie und springt mit großer Kraft nach oben. 

Wenn wir die Angst aber ganz einfach da sein lassen, dann kann sie auf der Oberfläche davontreiben und wieder gehen.

7Stelle dich deiner Angst in kleinen Schritten

Zu guter Letzt, und mit einem kleinen Augenzwinkern: Was wirklich hilft ist, wenn du immer und immer wieder übst, dich deinen Ängsten zu stellen. 

Mach es dabei wie in einem Computerspiel: Fang nicht mit dem Endboss an… Schreib dir am besten eine Art Angsthierarchie auf: Was ist eine Situation, die mir am meisten Angst macht? Welche Situation macht mir etwas weniger Angst? Was für eine Situation wäre ungefähr im mittleren Bereich? Und vor was habe ich nur ein kleines bisschen Angst, aber genug, um schon ein wenig zu schlucken?

Nun hast du deine “Spiel-Levels”, mit denen du systematisch üben kannst. Mach dir einen Plan, wie du dich vortasten kannst. Keiner stellt sich gerne und mit Freude seinen Ängsten, deswegen ist es wichtig, dass du dir einen Plan machst, den du konsequent angehst.

So kannst du immer wieder neue Lernerfahrungen machen. Wenn du die angstauslösenden Situationen immer meidest, kannst du nie lernen, dass du es schaffen kannst. Durch diesen Plan kannst du beim Kleinen anfangen, und dich nach und nach weiter bringen, dir zu zeigen, dass du die Situation trotz deiner Ängste bewältigen kannst. Und vergiss nicht, dich bei jedem Erfolg ordentlich zu feiern und dir ein großes High Five zu geben!

Diese Strategien findest du auch in unserem Video 7 Strategien zum Umgang mit Angst erklärt.

7 Strategien zum Umgang mit Angst

von Anna Lübberding, Psychologische Psychotherapeutin

7 Strategien gegen Angst

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