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Routine Outcome Monitoring (ROM): Ein (neues) Werkzeug für Psychotherapeut:innen

Im Rahmen der Psychotherapieausbildung lernen PIAs, in regelmäßigen Abständen Symptomwerte von Patient:innen zu erfassen und den Verlauf zu monitoren und zu evaluieren. Später in der psychotherapeutischen Praxis bleibt dafür jedoch oft wenig Zeit. Dazu kommt, dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen – und damit auch in der psychotherapeutischen Versorgung – hinterherhinkt und das Ausfüllen und Auswerten von Fragebögen mehr Zeit als nötig in Anspruch nimmt. Warum es sich dennoch lohnt, ein sogenanntes Routine Outcome Monitoring zu implementieren und welche Möglichkeiten neue Technologien bieten, erfahren Sie in diesem Artikel.

Was ist Routine Outcome Monitoring? 

Routine Outcome Monitoring (ROM) bezeichnet die Beobachtung und Auswertung von regelmäßig erhobenen Patientenrückmeldungen. Es handelt sich also um Monitoring- und Feedbacksysteme. Dabei kommen Patient-Reported Outcome Measures (PROMs) zum Einsatz – also Instrumente, die die Sicht der Patient:innen auf ihre eigene Gesundheit abbilden. In der Praxis kann das so aussehen, dass ein Patient vor jeder Therapiesitzung Fragen zum eigenen Befinden und ggf. auch zur therapeutischen Beziehung, zur Therapiemotivation oder anderen wichtigen Parametern auf einem Tablet ausfüllt. Die Psychotherapeutin kann so die Entwicklung ihres Patienten genau beobachten und in Kombination mit ihrer klinischen Einschätzung datenbasierte Entscheidungen treffen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass keine Verschlechterung (und auch keine Verbesserung) der Symptomatik unbemerkt bleibt.

Derzeit wird an weiterführenden Outcome Monitoring Systemen geforscht, welche Vorhersagen über den Therapieverlauf machen können. So erhält die Psychotherapeutin nicht nur eine Rückmeldung über die Rohwerte, sondern auch eine Einordnung, ob diese Werte im Rahmen der Prognose des Patienten liegen oder einen kritischen Schwellenwert überschreiten. Auch Hinweise auf mögliche Ursachen und Problembereiche (z. B. nachlassende Therapiemotivation) können in einigen Systemen rückgemeldet werden. Solche Daten können im Rahmen einer Intervision aber auch direkt mit dem Patienten besprochen werden. Bei deutlichen Abweichungen der Prognose oder schlechten Werten in bestimmten Bereichen kann zeitnah nach Lösungen gesucht oder das therapeutische Vorgehen angepasst werden.

Warum brauchen wir regelmäßiges Patientenfeedback?

Es gibt mehrere Gründe, die für den regelmäßigen Einsatz von Routine Outcome Monitoring Systemen sprechen. Einer der offensichtlichsten Gründe ist die Tatsache, dass solche Systeme frühzeitig Hinweise auf Symptomverschlechterungen und mögliche Therapieabbrüche geben können. Gerade für Patient:innen, die in Therapiesitzungen sozial erwünscht antworten oder ihre Bedenken oder Belastungen nicht gut in Worte fassen können, liefern solche Systeme zusätzliche Datenquellen für die Behandelnden. Darüber hinaus liefern modernere Feedbacksysteme viele wertvolle Informationen wie Verlaufsprognosen und zeigen mögliche Problembereiche auf. Durch neue Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz in der Psychologie werden die Vorhersagemodelle außerdem immer besser.

Psychotherapeut:innen erhalten damit ein Unterstützungsinstrument für ihre Praxis und können ihre Behandlungen noch besser anpassen – sei es durch die Veränderung der Behandlungsfrequenz oder des Behandlungssettings oder durch die Anpassung der Behandlungsstrategie. Routine Outcome Monitoring Systeme stellen somit auch eine Form von Blended Care dar – digitale Tools unterstützen und ergänzen die therapeutische Behandlung. Psychotherapeut:innen müssen sich damit nicht mehr nur auf ihre Intuition und klinische Erfahrung verlassen, die Verzerrungen und Fehleinschätzungen unterliegen können. So zeigen Studien, dass Psychotherapeut:innen häufig von positiven Verläufen ihrer Patient:innen ausgehen und Schwierigkeiten haben, negative Verläufe zu erkennen.1,2 

Aber auch für Patient:innen bieten Routine Outcome Monitoring Systeme wertvolle Erkenntnisse. Psychotherapie kann ein kleinschrittiger Prozess sein. Die über die Zeit entstehenden Veränderungen zurückzumelden, kann das Selbstwirksamkeitserleben und das Vertrauen in die Behandlung von Patient:innen stärken. Das gemeinsame Besprechen des Behandlungsverlaufs kann auch die therapeutische Beziehung, die Patientenzufriedenheit und die Therapiemotivation stärken.

Kleine Veränderung, große Wirkung – die Studienlage zu Routine Outcome Monitoring

Der Einsatz von Feedbacksystemen in der Psychotherapie wurde bereits in zahlreichen Studien untersucht. So zeigt eine Metaanalyse von 2021, dass Feedbacksysteme im Durchschnitt zu besseren Ergebnissen in der Psychotherapie führen und die Wahrscheinlichkeit eines vorzeitigen Behandlungsabbruchs verringern.3 Auch andere Studien geben Hinweise darauf, dass insbesondere Patient:innen, die ein erhöhtes Risiko haben, nicht auf eine Behandlung anzusprechen, von Feedbacksystemen profitieren. Werden klinische Problemlösungsinstrumente, die konkrete Hinweise auf Behandlungsanpassungen geben, in das Outcome-Monitoring integriert, zeigen sich noch bessere Ergebnisse.4 Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass der Einsatz von PROM-Systemen tatsächlich einen positiven Einfluss auf die therapeutische Allianz hat.5 

Forschungsprojekte zu Routine Outcome Monitoring

Im Folgenden werden zwei konkrete Forschungsprojekte für Routine Outcome Monitoring vorgestellt, die bereits Eingang in die Versorgung gefunden haben.

1Greifswalder Psychotherapy Navigator System (GPNS)

Das Greifswalder Psychotherapy Navigator System (GPNS)6 wurde an der Universität Greifswald entwickelt und wird inzwischen am angegliederten Ausbildungsinstitut eingesetzt. Vor und nach jeder Sitzung füllen die Patient:innen einen kurzen (ca. 3 Minuten) digitalen transdiagnostischen Fragebogen zur Symptomschwere (Short multidimensional emotional disorder inventory, SEDI – basierend auf der Langform MEDI7) aus, der dann für die Verlaufsmessung und das Feedback für Psychotherapeut:innen herangezogen wird. 

Das GPNS bietet Psychotherapeut:innen folgende Informationen:

  • Prognostizierter Behandlungsverlauf
  • Tatsächlicher Symptomverlauf in Relation zu einem individuellen Cut-off für einen negativen Therapieverlauf und einen klinisch unauffälligen Symptombereich
  • Behandlungsmotivation
  • Therapeutische Allianz
  • Intersession-Prozesse (inwieweit Patient:innen Therapieinhalte verinnerlicht und angewendet haben)
  • Suizidalitätswarnung

Die prognostizierten Verlaufskurven für Patient:innen können anhand von Vorhersagemodellen nach fünf Sitzungen berechnet werden und aktualisieren sich durch hinzugefügte Datenpunkte. 

2Trierer Therapie Navigator (TTN)

Der Trierer Therapie Navigator (TTN)8 ist ähnlich wie der GPNS aufgebaut und bietet Psychotherapeut:innen ein computerbasiertes Feedback-, Entscheidungs- und Problemlösungssystem für ihre praktische Arbeit. Der TTN bietet sowohl vor als auch während der Behandlung Vorhersagen für einzelne Patient:innen. Die Vorhersagen basieren auf Berechnungen, welche mit 1234 Patient:innen durchgeführt wurden, die mit einer kognitiven Verhaltenstherapie behandelt wurden. 

Um die Vorhersagen zu entwickeln, wurden moderne Techniken des maschinellen Lernens eingesetzt. Vor einer Behandlung kann das Abbruchrisiko und die optimale Behandlungsstrategie (problemlöseorientierte, motivationsorientierte oder gemischte Strategien) ermittelt werden. Während der Behandlung wird das Abbruchrisiko fortlaufend neu ermittelt und es werden verschiedene klinische Tools zur Behandlungsanpassung vorgeschlagen. Damit bietet der TTN nicht nur ein System zum Verlaufsmonitoring, sondern er eignet sich auch für eine datenbasierte Personalisierung der Behandlung.

Fazit zu Routine Outcome Monitoring 

Bisher ist Routine Outcome Monitoring in der psychotherapeutischen Versorgung in Deutschland noch nicht flächendeckend implementiert. Aufgrund der guten Studienlage und der zunehmenden Digitalisierung des Gesundheitswesens ist das vermutlich aber nur noch eine Frage der Zeit. Denn die Studien zu Routine Outcome Monitoring zeigen: Eine vergleichsweise kleine Veränderung in der psychotherapeutischen Praxis kann viel Positives bewirken. Und genau wie bei anderen digitalen Tools geht es auch hier nicht darum, die therapeutische Expertise und Einschätzung auszulagern, sondern eine Unterstützung und Entlastung für die Praxis zu schaffen. Mit Routine Outcome Monitoring können sich Psychotherapeut:innen ein umfassenderes Bild von ihren Patient:innen machen, indem sie ihren klinischen Eindruck, ihre langjährige Erfahrung und ihr Fachwissen über verschiedene Störungsbilder mit der neuen Datenquelle zusammenführen. Bis die umfangreichen ROM-Systeme in der Praxis angekommen sind, könnte ein erster Schritt darin bestehen, validierte Fragebögen regelmäßig in die therapeutische Praxis zu implementieren und Patient:innen zu bitten, diese vor jeder Sitzung auszufüllen.

Viele Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) beinhalten übrigens ein digitales Verlaufsmonitoring inklusive einer visuellen Aufbereitung der Werte. So beinhalten beispielsweise alle DiGA von HelloBetter verschiedene validierte Symptomfragebögen, die in leichter Sprache und mit verständlicher Visualisierung für die Patient:innen aufbereitet werden. Darüber hinaus steht ein Datenexport der Fragebogenwerte für Behandler:innen zur Verfügung. Mehr zu den DiGA von HelloBetter erfahren Sie auf der Informationsseite für Fachkreise.

Mehr zu den DiGA von HelloBetter erfahren Sie auf der Informationsseite für Fachkreise.

Auszug aus einer HelloBetter DiGA um Routine outcome monitoring zu demonstrieren.

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  • Quellennachweis
    1. Hatfield, D., McCullough, L., Frantz, S. H. B. & Krieger, K. (2009). Do we know when our clients get worse? an investigation of therapists’ ability to detect negative client change. Clinical Psychology & Psychotherapy, 17(1), 25–32. https://doi.org/10.1002/cpp.656
    2. Kaiser, T., Herzog, P., Voderholzer, U. & Brakemeier, E. (2022). Out of sight, out of mind? High discrepancy between observer- and patient-reported outcome after routine inpatient treatment for depression. Journal Of Affective Disorders, 300, 322–325. https://doi.org/10.1016/j.jad.2022.01.019
    3. De Jong, K., Conijn, J. M., Gallagher, R. A., Reshetnikova, A. S., Heij, M. & Lutz, M. C. (2021). Using progress feedback to improve outcomes and reduce drop-out, treatment duration, and deterioration: A multilevel meta-analysis. Clinical Psychology Review, 85, 102002. https://doi.org/10.1016/j.cpr.2021.102002
    4. Lambert, M. J. (2017). Maximizing Psychotherapy Outcome beyond Evidence-Based Medicine. Psychotherapy And Psychosomatics, 86(2), 80–89. https://doi.org/10.1159/000455170
    5. Brattland, H., Koksvik, J. M., Burkeland, O., Klöckner, C. A., Lara-Cabrera, M. L., Miller, S. D., Wampold, B. E., Ryum, T. & Iversen, V. C. (2019). Does the working alliance mediate the effect of routine outcome monitoring (ROM) and alliance feedback on psychotherapy outcomes? A secondary analysis from a randomized clinical trial. Journal Of Counseling Psychology, 66(2), 234–246. https://doi.org/10.1037/cou0000320
    6. Saygın, S., Schwärz, F. & Kaiser, T. (2022). Therapy from my point of view: A case illustration of routine outcome monitoring and feedback in psychotherapeutic interventions. Journal Of Clinical Psychology, 78(10), 2029–2040. https://doi.org/10.1002/jclp.23408
    7. Rosellini, A. J. & Brown, T. A. (2019). The Multidimensional Emotional Disorder Inventory (MEDI): Assessing transdiagnostic dimensions to validate a profile approach to emotional disorder classification. Psychological Assessment, 31(1), 59–72. https://doi.org/10.1037/pas0000649
    8. Lutz, W., Rubel, J., Schwartz, B., Schilling, V. N. L. S. & Deisenhofer, A. (2019). Towards integrating personalized feedback research into clinical practice: Development of the Trier Treatment Navigator (TTN). Behaviour Research And Therapy, 120, 103438. https://doi.org/10.1016/j.brat.2019.103438

    Weitere Quellen:

    • Delgadillo, J., Deisenhofer, A., Probst, T., Shimokawa, K., Lambert, M. J. & Kleinstauber, M. (2022). Progress feedback narrows the gap between more and less effective therapists: A therapist effects meta-analysis of clinical trials. Journal Of Consulting And Clinical Psychology, 90(7), 559–567. https://doi.org/10.1037/ccp0000747
    • Kaiser, T. (2023, 30. Oktober). Feedback tools in psychotherapy. Evidential. Abgerufen am 15. März 2024, von https://evidential.substack.com/p/feedback-tools-in-psychotherapy

     

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