Die Negativspirale
Die meisten kennen wahrscheinlich schon die schmerzhafte Erfahrung: Unser Kopf kann ein wahnsinnig begabter Geschichtenerzähler und Schwarzmaler sein. Oft keine gute Kombination. Es passiert uns etwas Unangenehmes, wir hören die bedrückenden Nachrichten, der Partner oder die Partnerin kritisiert uns oder wir erleben eine Enttäuschung – und plötzlich ist alles schlecht. Dann haben wir vermeintlich nie etwas erreicht, unsere Beziehung ist sowieso im Eimer und die Menschheit wird sich selbst zugrunde richten. Das klingt übertrieben? Jein. Sind unsere Gedanken einmal in eine Negativspirale geraten, kann es ganz schön zur Sache gehen und wirklich unangenehm werden. Da scheint positives Denken die rettende Lösung zu sein, denn es stimmt:
Unsere Gedanken bestimmen zum Großteil unsere Gefühle.
Positive Gedanken, positive Gefühle, Ende gut, alles gut. Warum geht diese Formel im Alltag aber nicht immer auf?
Warum ist positiv denken so schwierig?
Das Schöne ist: Unser Kopf meint es mit dem negativen Denken eigentlich gut mit uns. Unsere Gedanken wollen uns nämlich nicht quälen, damit es uns schlecht geht. Im Gegenteil. Unser Gehirn wittert überall Gefahren oder Möglichkeiten, unser Leben zu optimieren. Es möchte uns schützen und dass es uns langfristig gut geht. Ganz automatisch fertigt es deshalb eine Art Liste für uns an, mit allem, was schiefgehen könnte, worauf wir achten sollten und was schlimmstenfalls passieren kann. Diese Liste alarmiert uns und das führt dazu, dass wir die Punkte ernst nehmen. Wir sollen dadurch – evolutionär gesehen – unser Überleben sichern. Gefahren zu erkennen, sie vielleicht sogar vorauszusehen und aus Fehlern zu lernen, war schließlich schon in der Steinzeit ein klarer Vorteil: Wer einmal von einem bedrohlichen Tier überrascht wurde, dachte vielleicht täglich darüber nach, wie das nie wieder passieren könnte.
Ständig positiv zu denken, entspricht also nicht unserer menschlichen Natur.
Deshalb fällt es uns oft so schwer, kostet viel Energie und funktioniert meist nur in Maßen – am einfachsten ist es zum Beispiel, wenn wir ohnehin gut drauf und gedanklich beschwingt sind. Es ist jedoch sogar möglich und gar nicht unwahrscheinlich, dass wir uns schlechter fühlen, wenn wir ausschließlich positiv denken wollen.
Positives Denken kann negatives Denken verstärken
Noch mal zusammengefasst: Wir geben negativen Gedanken „von Haus aus” eine größere Bedeutung, möchten aber meist gar nicht negativ denken, weil wir uns dadurch schlechter fühlen und beschließen deshalb, absichtlich Positives zu denken. Dazu können wir zum Beispiel positive Gedanken nutzen wie: „Ich bin eine liebenswerte Person”, die wir immer wieder bewusst denken.
Es gibt eine interessante Studie der kanadischen Psychologin Joanne Wood, die genau mithilfe dieses Satzes getestet hat, welche Auswirkungen dieser positive Gedanke hat. Das überraschende Ergebnis: Das Selbstbewusstsein der Probanden und Probandinnen sank mit jeder Wiederholung.
Ein vermuteter Grund dafür ist, dass die Versuchspersonen, so oft sie den positiven Satz wiederholten, automatisch Gegenargumente für ihn fanden. Die menschliche Tendenz, negativen Dingen mehr Bedeutung beizumessen, schlug sozusagen zu und wurde angespornt, das positive Denken zu widerlegen.
Tschüss Negativspirale
Das mag wahrscheinlich deprimierend klingen und geradezu so, als stünde uns ein trostloses Leben in der Negativspirale bevor. Das ist nicht der Fall. Es ist bloß so, dass der Effekt, ausschließlich positiv denken zu wollen, sehr schnell verpufft oder sich sogar negativ auswirken kann. Wir brauchen also eine andere Herangehensweise, um uns in unserer Gedankenwelt wohlzufühlen. Dafür können die folgenden 3 Schritte hilfreich sein.
1Durchschaue deinen Kopf
Wenn du um die menschliche Tendenz, Negatives besonders hervorzuheben weißt, ist das schon mal ein erster wichtiger Schritt. Dadurch kannst du deine negativen Gedanken vielleicht sogar mit Humor nehmen, wenn du bemerkst: „Ach, da ist mein Steinzeitgehirn wieder am Werk” oder „Spannend, die lästige Liste wird länger.” Bemerke negative Gedanken ganz bewusst, beobachte, ob du ihnen folgst oder nicht, ohne inhaltlich auf sie einzugehen, sie wegzuschicken oder direkt mit positiven Gedanken ersetzen zu wollen.
2Lass die lästige Liste links liegen
Um es noch mal ganz deutlich festzuhalten: Die lästige Liste hat kein Ende. Was hat es also für einen Sinn, eine Liste abzuarbeiten, die niemals endet? Du würdest dich bloß erschöpfen. Allenfalls kannst du dir einzelne Punkte rauspicken, die du wirklich für sinnvoll und hilfreich hältst und sie angehen. Den Rest lässt du einfach links liegen und misst ihm nicht so viel Bedeutung bei. Das heißt jedoch nicht, dass dein Gehirn dich nicht wieder darauf hinweisen wird. Du kannst ihm in diesem Fall einfach sagen: „Danke, dass du dich um mich sorgst, aber das kann / will ich nicht verändern.”
3Entwickle realistische Gedanken
Negative Gedanken gibt’s automatisch, realistische und hilfreiche Gedanken können wir aktiv entwickeln. Diese Gedanken sollen nicht die negativen ersetzen, du kannst sie einfach hinzufügen, indem du sie hin und wieder denkst, um ein besseres Gesamtbild zu bekommen. Geht dein Kopf zum Beispiel von einem negativen Ausgang einer Begegnung aus, kannst du dich fragen: „Was könnte noch passieren?” oder: „Woran könnte das noch liegen, dass Person xy heute keine Zeit hat?”
Statt positiv denken: Offenheit und Ganzheitlichkeit
Das Gefühl, positiv denken zu müssen, kann unheimlich viel Druck erzeugen. Wenn es uns nicht gelingt, können wir uns fühlen, als hätten wir versagt, weil andere Menschen damit scheinbar Erfolg haben. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Wenn du negative Gedanken hast, die sich nicht durch Positivität „wegzaubern” lassen, bist du ein vollkommen normaler Mensch und es geht dir so wie uns allen. Du musst dich also nicht dazu zwingen, positiv denken zu lernen.
Was du dir in Bezug auf deine Gedanken statt Positivität vornehmen kannst, ist ihnen offener zu begegnen. Es geht darum alles zuzulassen, um Ganzheitlichkeit, das heißt Positives als auch Negatives und alle Schattierungen dazwischen, zu erfahren.
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