Schmerz und Psyche
In der westlichen Welt ist man lange Zeit davon ausgegangen, dass es eine klare Trennung zwischen körperlicher und geistiger Gesundheit gibt. Wie sich in der Forschung herausgestellt hat, ist diese Unterteilung oftmals jedoch nicht sinnvoll, da sich körperliche und geistige Faktoren gegenseitig beeinflussen. Das bedeutet: Unsere körperlichen Erfahrungen wecken bestimmte Gedanken, Gefühle und Vorstellungen und umgekehrt. Diese Wechselwirkung ist so selbstverständlich, dass wir sie im Alltag kaum mehr bemerken.
Lust auf ein spannendes Experiment?
In diesem Gedankenexperiment kannst du die Verbindung von Körper und Psyche innerhalb weniger Sekunden erleben.
Stelle dir einmal Folgendes vor: Vor dir steht ein Tisch, auf dem ein Brett mit einer Zitrone liegt. Neben dem Brett befindet sich ein Messer. Die Zitrone ist reif, tiefgelb und glänzend. Nimm die Zitrone in die Hand und schneide sie in der Mitte durch. Dabei läuft Saft der Zitrone auf das Brett und über deine Finger. Schneide von der Hälfte noch eine Scheibe ab. Deine Finger kleben vom Zitronensaft und du riechst den sauren Geruch der Zitrone. Nimm jetzt eine Zitronenscheibe in die Hand. Das Fruchtfleisch ist saftig und glänzt. Führe die Scheibe näher an den Mund und beiße schließlich in sie hinein. In dem Moment, in dem deine Zähne das Fruchtfleisch durchdringen, beginnt sich Zitronensaft in deinem Mund auszubreiten. Du schmeckst den sauren Saft und bemerkst, wie er sich von der Zungenspitze aus über deine gesamte Zunge und den Mund verteilt, bis du ihn schließlich hinunter schluckst. Was passiert in deinem Körper, wenn du dir das vorstellst?
Gedanken führen zu körperlichen Reaktionen
Bei der Vorstellung in eine Zitrone zu beißen, zieht sich dein Mund vermutlich zusammen und deine Speicheldrüsen produzieren mehr Speichel. Vielleicht kannst du die Zitrone sogar „in deinem Kopf” riechen. Das ist eine spannende Beobachtung. Gedanken und bildliche Vorstellungen, die wir bewusst in uns hervorrufen, führen zu direkten körperlichen Reaktionen. Viele Menschen kennen das auch aus dem Bereich der Sexualität, wenn Fantasien unmittelbar körperlich sexuelle Erregung erzeugen. Welchen Rolle spielen unsere Gedanken also, wenn wir chronische Schmerzen haben?
Chronische Schmerzen und Grübeln
Schmerzen wecken in uns das natürliche Bedürfnis, die Ursache des Schmerzes zu finden und in Zukunft zu vermeiden. Dafür sind Schmerzen da. Doch was passiert bei chronischen Schmerzen, die häufig eine ungeklärte Ursache haben? Menschen mit chronischen Schmerzen grübeln darüber, warum sie Schmerzen haben, ängstigen sich und sorgen sich darüber, ob und wie sie in Zukunft schmerzfrei leben können. Im Sinne der Signalfunktion des Schmerzes ist das eine gewünschte Folge. Doch bei chronischen Schmerzen ist diese quälende Ursachensuche ein entscheidender Grund für psychisches Leiden.
Leiden, chronische Schmerzen, Psyche
Nicht der Schmerz an sich, sondern die Gedanken und Gefühle, die er hervorruft, bereiten den meisten Menschen mit chronischen Schmerzen Probleme. In der Psychologie trifft man dabei die Unterscheidung zwischen klarem und verwischtem Schmerz, mehr darüber erfährst du in unserem Artikel: Was hilft bei Fibromyalgie. Wenn es langfristig nicht gelingt, Schmerzen zu beseitigen oder zu lindern, lohnt es sich, Einfluss auf die Wechselwirkung von Schmerz und Psyche zu nehmen.
Gedanken beeinflussen Schmerzintensität
„Diese Schmerzen werden niemals aufhören, ich bin ein hoffnungsloser Fall.” Wenn Menschen mit chronischen Schmerzen Gedanken wie diesen haben, nehmen sie die Schmerzen mitunter intensiver wahr. Und je stärker der Schmerz dadurch wird, desto mehr halten sie an dem Gedanken an sich selbst als „hoffnungslosen Fall” fest. Es entsteht ein Teufelskreis aus Schmerzwahrnehmung, Gedanken, Gefühlen und Schmerzintensität. Die gute Nachricht: Selbst wenn es keinerlei Einflussmöglichkeiten auf den Schmerz an sich gibt, ist es möglich, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
Die Psyche zur Linderung chronischer Schmerzen nutzen
In der Verhaltenstherapie chronischer Schmerzen lernen Klienten unter anderem, den „puren” Schmerz von den Gedanken an den Schmerz zu trennen. Dabei helfen zum Beispiel Formulierungen, die vor die Grübelgedanken gesetzt werden:
- Gerade kam bei mir der Gedanke auf, dass ich immer Schmerzpatientin bleiben werde.
- Mir kommt der Gedanke in den Sinn, dass andere Menschen keine Schmerzen haben, das ist ungerecht.
- Ich bemerke, dass ich den Gedanken habe, dass ich gar nicht mehr leben kann wie früher.
Indem Gedanken als Gedanken und nicht als Wahrheiten wahrgenommen werden, verringert sich ihr Einfluss auf die Stimmung und das Selbstbild der betroffenen Person.
Chronischer Schmerz, Psyche, mehr Lebensqualität
Zunächst erscheint es vielleicht beängstigend, dass Schmerz nicht nur eine sehr unangenehme Sinnesempfindung ist, sondern auch noch die Psyche beeinflusst. Da diese Verbindung jedoch auch andersherum funktioniert, können Gedanken glücklicherweise dafür genutzt werden, das Leiden durch chronische Schmerzen zu verringern und das eigene Schmerzempfinden zu senken. Dadurch ist es auch möglich, dass Menschen mit chronischen Schmerzen ihren Alltag nicht mehr vollkommen auf den Schmerz ausrichten. Wenn der Schmerz weniger Einfluss auf die psychische Gesamtverfassung hat, können Betroffene zum Beispiel trotz Schmerzen viele Aktivitäten unternehmen, die ihnen Spaß machen. Diese Erlebnisse verbessern langfristig die Lebensqualität und ermöglichen ein erfüllenderes Leben mit Schmerzen..
Chronische Schmerzen behandeln mit HelloBetter
In unserem Online-Therapiekurs bei chronischen Schmerzen haben wir viele weitere bewährte Strategien und Übungen zusammengestellt, die den positiven Einfluss der Psyche auf chronische Schmerzen fördern. Und das Ganze kostenlos, denn alle gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für den Therapiekurs. Auf der unten verlinkten Kursseite findest du weitere Informationen dazu, wie du den Schmerzkurs kostenfrei auf Rezept erhältst. Von ihren Erfahrungen mit dem chronischer Schmerz Kurs berichtet eine Teilnehmerin auf unserem Blog.
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Quellennachweis
- Bushnell, M. C., Ceko, M., Low, L. A (2013). Cognitive and emotional control of pain and its disruption in chronic pain. Nature Reviews Neuroscience, 14(7): 502-511. doi: 10.1038/nrn3516
- Crofford, L. J (2015). Chronic Pain: Where the Body Meets the Brain. Transactions of the American Clinical and Climatological Association, 126: 167-183.
- Lahmann, C., Henningsen, P., Noll-Hussong, M (2010). Somatoforme Schmerzen – ein Überblick. Psychiatria Danubina, Vol. 22, No. 3, S. 453-458.
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