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Misophonie – Wenn alltägliche Geräusche zur Qual werden

Kennst du das Gefühl, wenn dir das Quietschen von Kreide auf der Tafel oder das Kratzen einer Gabel auf dem Teller einen regelrechten Schauder über den Rücken jagt? Bestimmte Geräusche in unserer Umwelt haben diese unangenehme Wirkung bei vielen von uns. Nun stell dir einmal vor, du hättest dieses Gefühl bei ganz alltäglichen Geräuschen, zum Beispiel bei Kaugeräuschen anderer Menschen oder bei dem Klang einer Tastatur. Betroffene, die unter einer sogenannten Misophonie leiden, können diese Geräusche regelrecht wahnsinnig machen. Doch was bedeutet das genau?

Wie sich die Misophonie äußern kann, welche Ursache sie hat und wie man sie behandeln kann, erfährst du in diesem Artikel.

Unsere Fühler zur Welt

Der Hörsinn ist der erste Sinn, mit dem der ungeborene Mensch seine Umwelt wahrnimmt. Noch bevor wir die Welt mit unseren eigenen Augen erblicken können, nehmen wir bereits im Bauch unserer Mutter Töne wahr und können die Stimmen um uns herum unterscheiden. Unsere Ohren werden daher, bildlich gesprochen, auch als „Fühler zur Welt” beschrieben, mit denen wir mehr als doppelt so viele Sinneseindrücke verarbeiten, wie mit unseren Augen.

Unser Hörsinn spielt dementsprechend eine bedeutende Rolle in unserem Leben und kann positive wie auch negative Emotionen in uns auslösen. Auf bestimmte Geräusche, wie beispielsweise das Quietschen der Tafelkreide, reagieren die meisten Menschen auf eine ähnliche unangenehme Weise. Lösen jedoch neutrale Geräusche in unserem Alltag wiederholt negative Emotionen aus, spricht man von einer Misophonie.

Der Begriff Misophonie leitet sich aus den griechischen Wörtern „miso” (Hass) und phonie” (Ton) ab. Kurzum beschreibt die Misophonie den Hass auf einen bestimmten Ton.

Während das Schreien eines Babys oder der Straßenlärm vor der Tür nicht als besonders störend wahrgenommen werden, können Betroffene wiederum andere Geräusche kaum ertragen. Häufig beziehen sich diese auf die Geräusche unserer Mitmenschen, wie zum Beispiel auf deren Schmatzen, Trinken oder Atmen. Die Misophonie wird daher auch als selektives Geräusch­empfind­lichkeits-Syndrom bezeichnet.

Ursachen einer Misophonie

Entgegen der simplen Annahme, die Ursache der Misophonie sei im Gehör selbst zu finden, ist die Misophonie nicht auf einen Gehörschaden zurückzuführen. Vielmehr diskutieren Forscher psychische sowie neuronale Ursachen der Misophonie. Dabei wird davon ausgegangen, dass bestimmte Geräusche in unserem Gehirn gestört weiterverarbeitet werden. Infolgedessen nehmen Menschen mit Misophonie, eigentlich unbedeutende Geräusche als bedeutsam wahr und können diese nur schwer aus ihrem Bewusstsein ausblenden. Anders ausgedrückt: Die Gedanken kreisen nur noch um dieses eine Geräusch. Hinzu kommt, dass das Gehirn im Krankheitsverlauf sozusagen erlernen kann, diese Geräusche mit negativen Aspekten zu verknüpfen. Nehmen Betroffene die Geräusche dann wahr, werden bestimmte Gehirnregionen, die für emotionale Verarbeitung zuständig sind, besonders stark aktiviert.

Als häufigste emotionale Reaktionen nennen Betroffene Aggression, Wut und Ekel. So wird ein regelrechter Hass auf das Geräusch empfunden.

Die Misophonie ist daher abzugrenzen von der sogenannten Phonophobie, bei der ängstliche Emotionen im Vordergrund stehen.

Verhalten bei Misophonie: Die Umwelt stummschalten?

Die ausgelösten negativen Emotionen können einen enormen Leidensdruck bei den Betroffenen auslösen. Dieser kann weiterhin dadurch verstärkt werden, dass Betroffene damit oftmals auf Unverständnis ihrer Mitmenschen stoßen. Da sich die Misophonie häufig auf Geräusche anderer Menschen bezieht, birgt sie auch ein gewisses Konfliktpotential. Um zwischenmenschlichen Problemen aus dem Weg zu gehen, sehen Betroffene daher mitunter nur noch einen Ausweg aus der Situationen: den sozialen Rückzug

Folglich nehmen Menschen mit Misophonie ihre eigenen Bedürfnisse oftmals zurück, um sich anderen nicht wiederholt erklären zu müssen. Obendrein kann es im Krankheitsverlauf zu weiteren Verhaltensänderungen kommen: Um die Konfrontation mit dem Geräusch zu vermeiden, strukturieren Betroffene teilweise ihren Alltag um (z.B. essen sie alleine zu Abend) oder versuchen die Umwelt mit eigenen Geräuschen zu übertönen. Es gibt schließlich keinen Stummschalter für unsere Umwelt. Daher können soziale Interaktionen enorm anstrengend für Menschen mit Misophonie sein.

5 Tipps, um die Misophonie zu überwinden 

Unter dem Strich kann die Misophonie sowohl für die Betroffenen, wie auch für deren Angehörige sehr ermüdend sein. Aus diesem Grund geben wir dir im Folgenden 5 Tipps an die Hand, wie sich die Misophonie überwinden lassen kann. Was im Einzelfall die beste Methode ist, hängt von deinen persönlichen Vorlieben und bisherigen Erfahrungen ab. 

1Teile dich deinen Mitmenschen mit

Bestimmt hast du schon einmal den Spruch gehört, Kommunikation sei das A und O. Tatsächlich ist es ein wichtiger Schritt, dich deinen Mitmenschen mitzuteilen und offen zu kommunizieren, unter welchen Geräuschen du leidest. Dabei kann es zum Beispiel helfen, sie über die Symptome der Misophonie aufzuklären und ihnen damit zu vermitteln, wie du die Welt und deren Geräuschkulisse wahrnimmst. Ist dieser Schritt getan, könnt ihr gemeinsame Lösungen für bestimmte Situationen finden und zum Beispiel neue Möglichkeiten des gemeinsamen Abendessens vereinbaren (z.B. Einschalten des Radios).

2Entspanne dich

Im Grunde genommen können bei der Misophonie bestimmte Geräusche die volle Aufmerksamkeit beanspruchen und die Betroffenen an nichts anderes mehr denken lassen. Kurzum: Unser Geist läuft bereits auf Hochtouren. Wenn nun noch Stress hinzukommt, z.B. durch soziale Konflikte, können die Symptome der Misophonie nochmals verstärkt werden. Dann steht unser Körper unter großer Anspannung, welche uns wiederum anfälliger für bestimmte Geräusche machen kann. 

Du kannst diesem Teufelskreis entkommen, indem du etwas von dieser Anspannung freilässt. Entspannungs- und Atemübungen können dir dabei helfen, dich zu entspannen und wieder die Kontrolle über deinen Körper und deine Gefühle zurückzugewinnen. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, wie du deinen Stresspegel abbauen und wieder zur Ruhe kommen kannst (z.B. Progressive Muskel­ent­spannung). Auch unser Online-Kurs Fit im Stress kann dich dabei unterstützen.

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3Kleine Auszeit

In manchen Situationen fühlt man sich nur noch danach, die Welt um sich herum für einen Moment stummzuschalten. Mitunter können dir hierbei triggerfreie Oasen helfen, um dir einmal eine kleine Auszeit zu nehmen. Zu diesen Oasen kannst du zum Beispiel über deine Kopfhörer gelangen, indem du deine Lieblingsmusik oder ein spannendes Hörbuch einschaltet. Deinen Ruheort kannst du aber auch räumlich finden, z.B. in deinem Lieblingspark.

4Du bist nicht allein

Mach dir bewusst: Du bist nicht alleine! Obwohl der Begriff der Misophonie in unserem Alltag eher selten verwendet wird, beschäftigen sich immer mehr Menschen mit der Misophonie. Die steigende Zahl der Betroffenen lässt darauf schließen, dass sie häufiger auftritt, als bislang angenommen wurde. Das Bewusstsein dafür, dass deine Symptome einen Namen haben, kann dir helfen, diese zu akzeptieren und dich nicht für die Misophonie rechtfertigen oder teilweise schuldig fühlen zu müssen. Im Internet kannst du verschiedene Foren finden, in denen sich von Misophonie Betroffene untereinander austauschen. Zum Beispiel kannst du dort auch weitere hilfreiche Tipps finden, um die Misophonie zu überwinden.

5Suche dir professionelle Unterstützung

Kurzfristige Strategien zur Symptomlinderung können zwar hilfreich sein, eine langfristige und anhaltende Verbesserung der Misophonie ist jedoch vor allem durch eine kognitive Verhaltenstherapie möglich. 

Wie oben bereits erwähnt, kann das Gehirn im Krankheitsverlauf erlernen, bestimmte Geräusche mit negativen Aspekten zu verknüpfen. Die Verhaltenstherapie setzt genau dort an und versucht, diese Verbindung mithilfe einer sogenannten Gegenkonditionierung aufzulösen. Dabei wird das trigger besetzte Geräusch mit zunehmender Frequenz beispielsweise zusammen mit angenehmen und entspannenden Tönen abgespielt. Folglich wird die unangenehme emotionale Reaktion abgeschwächt und kann im Therapieverlauf sogar vollends verschwinden, weil das Gehirn dieses Geräusch nun mit positiven Erlebnissen verbindet. 

Ebenso kann die Therapie dabei helfen, Vermeidungsverhalten (wie sozialen Rückzug) abzubauen und einen hilfreichen Umgang mit der Misophonie zu finden. Wie die Psychotherapie genau abläuft, kannst du in unserem Artikel zum Thema „Ablauf einer Psychotherapie“ nachlesen. Außerdem haben wir auf unserem Blog auch zusammengefasst, wie du einen Therapieplatz finden kannst.

Höre dir zu

Grundsätzlich ist es wichtig, auf dich und deinen Körper zu hören. Mit welcher der Tipps du dich am wohlsten fühlst, ist ganz dir überlassen. Beachte jedoch: Die Symptome der Misophonie sind real und sollten daher nicht verdrängt werden. Bestimmt wirst du die passende Unterstützung finden, um die Misophonie in den Griff zu bekommen. Der erste Schritt ist der Wichtigste.

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