Eine hohe Kunst – aber warum eigentlich?
Warum kann es so schwerfallen, sich selbst zu verzeihen? Bei anderen können wir es doch meist auch. Nicht nachtragend zu sein und anderen vergeben zu können, gehört sogar zum guten Ton und gilt als positive Eigenschaft. Der Teufel steckt auch hier im Detail. Denn während wir oft bei anderen beobachten und lernen können, wie sich Menschen gegenseitig trösten und verzeihen, trifft das nicht darauf zu, sich selbst zu vergeben. Denn ob und wie das jemand tut, können wir meist gar nicht sehen.
Wir haben gelernt, dass Verzeihen etwas ist, das von „außen“ und nicht von „innen“ kommt.
Dass sich selbst zu verzeihen so schwerfällt, liegt auch an einer anderen Lernerfahrung: Fehler sind nicht erwünscht. Das hohe Gut der „Fehlerlosigkeit“ wird uns spätestens in der Schule mehr als deutlich gemacht. Null Fehler im Diktat versprechen Lob und Anerkennung, während sich mit jeder roten Markierung der Schandfleck auf der vermeintlich erstrebenswerten Perfektion ausbreitet. Wir verinnerlichen schnell: Wir sollen keine Fehler machen. Wenn es doch passiert, können Gefühle der Scham, Schuld oder Angst entstehen. Wir sind sauer auf uns selbst, verspüren Enttäuschung, manchmal sogar geradezu Selbsthass. Sich selbst zu verzeihen, kann dann fast unmöglich scheinen.
Nie Fehler zu machen ist dabei ein trügerisches Ziel, denn weder ist es zu erreichen noch wirklich sinnvoll.
Warum sollte man sich selbst verzeihen?
Es ist wichtig, sich selbst zu vergeben. Denn ständiges Grübeln, Selbstzweifel oder -vorwürfe können auf Dauer eine richtige Belastung sein. Dich selbst mit all deinen Eigenschaften, Ecken, Kanten und Entscheidungen anzunehmen und eine liebevolle Einstellung dir selbst gegenüber zu entwickeln, kann hingegen heilsam sein. Sich selbst zu verzeihen bedeutet loslassen. Es bedeutet auch, die Vergangenheit ruhen zu lassen und gibt Möglichkeit, nach vorne zu sehen und zu gehen.
Wie kann ich mir selbst verzeihen?
Wie verzeihen wir anderen? Normalerweise, indem wir dem anderen sagen, dass es ok ist und wir der Person vergeben. Vielleicht nehmen wir ihre Entschuldigung oder Geste der Versöhnung an oder schließen einander in die Arme. Aber wie kann es gelingen, sich selbst zu verzeihen? Wir haben 3 Tipps für dich.
1Die Perspektive wechseln
Der erste wichtige Schritt, sich selbst zu verzeihen, ist anzuerkennen, dass Fehler zum Leben dazugehören. Und das nicht nur als unliebsame Weggefährten, sondern genauer betrachtet als wahre Wegweiser. Denn aus Fehlern lernen wir. Deine letzte Beziehung war ein großer Fehler? Dann weißt du jetzt, was in der nächsten auf jeden Fall anders sein muss. Du bereust, wie du dich verhalten hast? Dann wirst du beim nächsten Mal mehr darauf achten.
» Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich die gleichen Fehler machen. Aber ein bisschen früher, damit ich mehr davon habe. «
Marlene Dietrich
Immer in der eigenen Komfortzone zu bleiben, um möglichst keine Fehler zu machen, bedeutet Stillstand. Du darfst die Perspektive wechseln und „Fehler“ oder „falsche“ Entscheidungen weniger als Hindernis, sondern vielmehr als Lernmöglichkeit verstehen. Das macht es leichter, sich selbst zu verzeihen, wenn mal etwas schief geht. Denn das ist in Ordnung und ganz normal.
2Sich selbst verzeihen mit Gesten der Versöhnung
Das klingt jetzt vielleicht etwas ungewöhnlich, aber wir können uns auch selbst Gesten der Versöhnung schenken. Du kannst dich zum Beispiel selbst umarmen, indem du die Arme verschränkst und deine Hände auf deine Schulterblätter legst. Dazu kannst du laut oder in Gedanken aussprechen, dass du dir vergibst. Das bedeutet nicht, Entscheidungen oder Dinge, die passiert sind, „schönzureden“. Das kann sich nämlich manchmal einfach nicht richtig anfühlen. Was du stattdessen machen kannst, ist dir selbst zu sagen: „Es ist ok, so wie es ist. Ich bin ok, so wie ich bin“.
3Einen Brief schreiben
Niemand kritisiert uns so wie wir selbst. Um sich selbst zu verzeihen, kann es helfen, mit dir selbst genauso zu reden, wie du es mit anderen tun würdest. Die folgende Übung kann dir dabei helfen.
Übung
Der Mutmach-Brief
Nimm dir ein Blatt Papier und Stift zur Hand. Nun stelle dir vor, eine gute Freundin oder ein guter Freund berichtet dir davon, dass er oder sie sich etwas nicht verzeihen kann – genau das, was auch du dir im Moment vorhältst. Schreibe dann einen Brief an die Person, in dem du ihr Mut machst, sie aufbaust und ihr die Erlaubnis gibst, sich selbst zu vergeben. Vielleicht können dir folgende Fragen dabei helfen, deinen Brief zu formulieren:
- Warum ist es in Ordnung, die Vergangenheit ruhen zu lassen? Was sind vielleicht sogar Vorteile?
- Gibt es etwas Positives an der Situation? Kann man zum Beispiel etwas daraus lernen?
- Gibt es Worte oder eine Geste, die der anderen Person helfen würden, sich selbst zu verzeihen?
Sich selbst vergeben: Was, wenn es nicht klappt?
Es kann sein, dass die unangenehmen Gefühle und Gedanken trotz aller Versuche, sich selbst zu verzeihen, anhalten. Wenn du bemerkst, dass sie dich stark belasten und nicht abnehmen, hole dir Unterstützung. Manchmal kann eine Psychotherapie hier hilfreich sein, um einen neuen Umgang mit Vergangenem zu finden. Wie eine Psychotherapie abläuft und wie du einen Therapieplatz findest, erfährst du in unseren anderen Blogartikeln.
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