Was sind Zwangsgedanken?
Als Zwangsgedanken bezeichnet man solche Gedanken, Impulse oder Vorstellungen, die sich dauernd wiederholen und Ängste, innere Spannung oder Unwohlsein auslösen.
Betroffene sind sich meist darüber bewusst, dass ihre Zwangsgedanken übertrieben sind und versuchen, Widerstand gegen sie zu leisten – meist erfolglos. Sie fühlen sich ihren Gedanken hilflos ausgeliefert und regelrecht von ihnen „innerlich verfolgt”.
Wovon handeln Zwangsgedanken?
Zwangsgedanken können ganz unterschiedliche Inhalte haben. Typische Zwangsgedanken sind beispielsweise die Befürchtung, die Wohnungstür offen stehen gelassen oder sich mit einer Krankheit infiziert zu haben. Andere Beispiele für Zwangsgedanken sind Gedanken daran, sich selbst oder andere absichtlich oder versehentlich zu verletzen oder sich sexuell unangemessen zu verhalten.
Zwangsgedanken können innere Bilder sein, zum Beispiel die ausgebrannte Wohnung, weil der Herd nicht ausgeschaltet wurde. Oder auch bestimmte Sätze oder Fragen, zum Beispiel: „Habe ich gerade jemanden überfahren?” Es gibt auch den Zwang zu zählen, häufig mit dem Gedanken verbunden, dass sonst etwas Schlimmes passiert, wenn zum Beispiel nicht dreimal bis zehn gezählt wird. Hinter Zwangsgedanken steckt also oft ein Katastrophendenken sowie „magisches Denken”. Das bedeutet, es wird angenommen, mit den eigenen Gedanken Unheil abwenden zu können.
Was ist der Unterschied zwischen Zwangsgedanken und Zwangshandlungen?
Durch Zwangsgedanken kann es einerseits zu sogenanntem Vermeidungsverhalten kommen, sodass beispielsweise das Auto fahren vermieden oder das Haus seltener verlassen wird. Häufig führen Zwangsgedanken aber auch zu Zwangshandlungen. Betroffene waschen sich zum Beispiel andauernd die Hände, um Infektionen zu vermeiden oder kontrollieren, ob der Herd ausgeschaltet ist. Zwangshandlungen werden ausgeführt, um die durch Gedanken verursachte sorgenvolle Anspannung zu reduzieren. Nach einer kurzfristigen Erleichterung wiederholt sich der Ablauf von Gedanken und Handlungen allerdings immer wieder.
Es ist aber auch möglich, Zwangsgedanken zu haben, denen keine Zwangshandlung folgt. In diesem Fall wird nichts getan, um die entstehende Anspannung und innere Unruhe zu reduzieren. Die Gedanken an sich verursachen psychisches Leiden.
Zwangsgedanken sind eine Form intrusiver Gedanken. Intrusive Gedanken sind Gedanken, die sich uns aufdrängen, zum Beispiel die Vorstellung, das Lenkrad während der Fahrt herumzureißen, um einem möglichen Hindernis auszuweichen. Intrusive Gedanken sind – bei geringer Häufigkeit und ohne Leidensdruck – jedoch nicht automatisch Zwangsgedanken.
Zwangsstörung als Diagnose
Die Frage, ob wir die Haustür abgeschlossen haben, haben wir uns alle wahrscheinlich schon mehr als einmal gestellt. Zweifel, Ängste und „Kontrollfragen” sind noch nicht ausschlaggebend dafür, ob tatsächlich eine Zwangsstörung vorliegt. Nach dem ICD-10, dem Klassifikationssystem für Krankheiten und verwandte Gesundheitsprobleme, müssen Zwangsgedanken oder -handlungen oder beides über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen über jeweils mehrere Stunden am Tag vorkommen. Außerdem müssen folgende Kriterien erfüllt sein:
- Die Gedanken müssen als die eigenen erkannt werden (du hast also nicht das Gefühl, dass dir eine fremde Kraft diese Gedanken eingibt).
- Betroffene versuchen, die Zwangsgedanken loszuwerden oder Zwangshandlungen zu unterlassen.
- Die Zwangsgedanken oder -handlungen wiederholen sich auf sehr unangenehme Weise und werden als übertrieben empfunden.
- Es besteht ein Leidensdruck, da die Zwangsgedanken oder -handlungen die Betroffenen hinsichtlich ihrer Lebensführung, Leistung oder sozialen Kontakte einschränken.
Was ist der Unterschied zwischen „normalen Gedanken” und Zwangsgedanken?
Gedanken sind Gedanken. Es gibt daher im Grunde keinen Unterschied zwischen „normalen” Gedanken und Zwangsgedanken. Gedanken können sich jedoch zu Zwangsgedanken entwickeln, wenn sie in bestimmter Weise bewertet werden, sich deshalb wiederholen und Leiden verursachen.
Es ist eine normale und nützliche Funktion unseres Gehirns, dass wir über das nachdenken, was uns beunruhigt. Dadurch können wir für gewöhnlich unter anderem Lösungen für Probleme finden. Dieser Mechanismus hat sich bei Zwangsgedanken jedoch verselbstständigt und wir kommen aus der ständigen Wiederholung negativ bewerteter Gedanken nicht raus.
Die negative Bewertung bestimmter Gedanken verschärft sich meistens noch, wenn die Betroffenen Rückschlüsse aus ihren Gedanken auf ihre Person ziehen. Eine typische Bewertung wäre zum Beispiel: „Ich muss ein furchtbarer Mensch sein, weil ich immer wieder so etwas Schreckliches denke.”
Wichtig ist: Du bist nicht deine Gedanken und auch nicht die Summe deiner Gedanken.
Was können wir also bei Zwangsgedanken tun, um das Gedankenkarussell stoppen und den Kreislauf negativer Gedanken durchbrechen zu können?
Zwangsgedanken loswerden mit Selbsthilfe
Um Zwangsgedanken loswerden zu können, müssen aus Zwangsgedanken wieder „normale” Gedanken werden. Dafür wird an der Bewertung der Gedanken angesetzt. Es geht darum zu erfahren, dass Gedanken nicht gefährlich sind. Viele Gedanken sind nicht wahr und – salopp gesagt – sinnlos. Sie vergehen ganz natürlich, je weniger wir ihnen Beachtung schenken. Und das können wir trainieren! Tauchen Zwangsgedanken zum Beispiel in bestimmten Situationen auf, können diese Situationen konkret aufgesucht werden, um zu erleben, dass der bloße Gedanke keinerlei Konsequenzen hat. Wir müssen nämlich keineswegs nach ihm handeln oder uns vor ihm fürchten.
Falls die Gedanken in keiner bestimmten Situation auftreten, kannst du die Übung „Gedanken beobachten” ausprobieren, um gezielt die Erfahrung zu machen, dass Gedanken auftauchen und sich wieder auflösen. Dadurch kannst du dich von ihnen distanzieren – eine psychologische Technik, die auch kognitive Defusion genannt wird und nachweislich effektiv ist.
Übung
Gedanken beobachten
In dieser Übung geht es darum zu erfahren, dass Gedanken sich stetig formen und wieder auflösen. Sie haben keine feste Substanz und sind nichts Bedrohliches, auch wenn ihr Inhalt dich ängstigen kann. Du kannst es dir vorstellen wie einen Kinofilm: Die Filmszenen mögen schrecklich sein, aber du bist nicht im Film und der Film ist auch nicht die Realität. Stattdessen kannst du die Veränderungen auf der Leinwand entspannt beobachten.
Beginne damit, dass du dich bequem hinsetzt oder -legst, dein Rücken sollte gerade sein, Arme und Beine entspannt. Du kannst deine Augen offen oder geschlossen halten.
Sei zunächst einfach offen für alles, was du wahrnimmst: alles, was du siehst, hörst, riechst, schmeckst, körperlich oder emotional fühlst und denkst.
Richte dann deine Aufmerksamkeit nach und nach immer mehr auf deine Gedanken. Wir können unsere Gedanken nicht hören oder sehen, aber wir können sie registrieren – als interessante Phänomene in unserem Kopf, die kommen und gehen. Wie Schneeflocken, die auf einen heißen Stein fallen. Manchmal ist das ein regelrechter Schneesturm. Vielleicht rieseln die Gedanken aber auch nach und nach wie einzelne Schneeflocken vom Himmel. Oder – gerade wenn du sie beobachten möchtest – tauchen einige Momente lang gar keine Gedanken auf. Alle Erfahrungen, die du machst, sind in Ordnung. Versuche einfach, immer weiter zu beobachten. Wenn du dich von deinen Gedanken ablenken lässt, kehre einfach wieder zur Übung zurück, sobald du es bemerkst. Wenn du auf diese Weise übst, kannst du dich mit der Zeit immer besser mit dem entspannten Zuschauer und weniger mit dem unangenehmen Film identifizieren.
Wenn du einige Minuten lang deine Gedanken beobachtet hast, nimm wieder wahr, was du sonst über deine Sinne erfährst. Sei neugierig auf alles, was du siehst, fühlst, schmeckst, riechst und hörst und beende dann die Übung.
Stelle dir am besten einen Wecker und führe die Übung anfangs nicht länger als drei Minuten aus. Steigere dich nach den ersten Malen auf fünf Minuten und dann weiter auf zehn Minuten. Finde heraus, mit welcher Zeitspanne du dich wohlfühlst und überfordere dich nicht!
Therapie bei Zwangsgedanken
Vielleicht erlebst du deine Gedanken als so bedrohlich, dass du dich gar nicht traust, sie zu beobachten. Das ist verständlich und in diesem Fall ist es ratsam, dir psychotherapeutische Unterstützung zu suchen, um während der Übungen Ruhe bewahren zu können. Gemeinsam mit einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten kannst du Übungen durchführen, um zu lernen, dich von deinen Gedanken zu distanzieren – sodass die Macht der Gedanken sich verliert.
Es ist auch möglich, dass ihr gemeinsam Situationen aufsucht, in denen die Zwangsgedanken auftauchen, damit du erfahren kannst, dass nichts Schlimmes passiert, wenn die Gedanken da sind. Oftmals ist es auch Teil der Therapie, genau zu schildern, was eigentlich befürchtet wird. Die Geschichte hinter den Gedanken wird also gemeinsam zu Ende gedacht und kann so seinen Schrecken verlieren.
In einer Therapie kannst du außerdem herausfinden, weshalb du Zwangsgedanken entwickelt hast. Verhindern sie zum Beispiel, dass über etwas anderes nachgedacht werden kann – eine Trennung, eine Unzufriedenheit im Job oder sorgen sie dafür, dass sich jemand anderes sich dir besonders zuwendet? Die Ursachen und Funktionen einer psychischen Störung sind vielfältig und in der Therapie kannst du dir überlegen, wie du dein Leben ohne Zwangsgedanken gestalten willst. Nur Mut!
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Quellennachweis
- Larsson, A., Hooper, N., Osborne, L. A., Bennett, P., & McHugh, L. (2016). Using brief cognitive restructuring and cognitive defusion techniques to cope with negative thoughts. Behavior modification, 40(3), 452-482.
- Freyberger, H. J., Cooper, J. E., & Weltgesundheitsorganisation. (2016). Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen (8., überarbeitete Auflage unter Berücksichtigung der Änderungen gemäss ICD-10-GM (German Modification) 2016.).
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