Triggerwarnung: Dieser Artikel enthält Beispiele von potentiell traumatisierenden Ereignissen. Bei manchen Menschen können diese zu belastenden Reaktionen, Gefühlen oder Erinnerungen führen. Bitte sei daher achtsam, wenn du den Artikel liest.
Wie kommt es zu einer Traumatisierung?
Bei einer Traumatisierung werden wir Menschen mit einem Ereignis – einem Trauma – konfrontiert, das so außergewöhnlich bedrohlich und katastrophal ist, dass es unsere Bewältigungsfähigkeiten zunächst übersteigt. Bei fast jedem von uns würde das zu extremer Angst, Verzweiflung oder Hilflosigkeit führen. Welche Ereignisse traumatisierend sein können, ist dabei ganz unterschiedlich. Das reicht von einzelnen Erlebnissen wie beispielsweise einem Verkehrsunfall bis hin zu sich wiederholenden Traumata wie Kriegserlebnisse oder Missbrauchserfahrungen. In den allermeisten Fällen passieren Traumatisierungen dabei vollkommen unerwartet. Sie bedeuten für uns eine absolute Extremsituation und entsprechend reagiert auch unser Körper mit Ausnahmezustand. Werfen wir darauf mal einen genauen Blick.
Was hattest du gestern zum Frühstück?
Ereignisse, die wir im Alltag erleben, speichern wir normalerweise verarbeitet ab. Das heißt, wir nehmen sie wahr, bewerten sie und sortieren sie dann in unsere Erinnerungen ein. Dadurch haben solche Ereignisse beispielsweise ein vorher und ein nachher. Auf die Frage, was wir gestern zum Frühstück hatten, können wir dann unterscheiden zwischen dem Tag gestern und dem heute. Mit all unseren Gefühlen, Gedanken und Empfindungen, die wir während des Frühstücks hatten. Bei einer Traumatisierung ist das anders.
Beispiel: Stell dir vor, du bist auf der Straße mit dem Rad unterwegs und plötzlich geht vor dir eine Autotür auf. Du bremst, reißt das Lenkrad um und kannst ausweichen – und zwar ohne, dass du groß darüber nachdenken musst. Erst danach wird dir bewusst, was passiert ist („Da ist grad eine Autotür aufgesprungen!”). Du hast also schneller reagiert, als du gedacht hast.
Verantwortlich dafür ist die sogenannte Amygdala. In diesem alten Teil unseres Gehirns werden alle Reize, die wir wahrnehmen, erst mal bewertet. Bei einer akuten Gefahr wie der Autotür, löst die Amygdala dann direkt eine automatische Alarmreaktion aus und wir weichen aus. Dabei kappt sie kurz die Verbindungen zu den Bereichen im Gehirn, die für das Denken verantwortlich sind. Auf diese Weise sparen wir kostbare Zeit, denn wir denken nicht erst bewusst über die Autotür nach („Ohje, eine Autotür. Ob die gleich wieder zugeht? Ich sollte wohl besser ausweichen.”), sondern reagieren sofort.
Was passiert bei einer Traumatisierung?
Das Beispiel mit der Autotür ist natürlich keine traumatisierende Situation, lässt sich aber übertragen. Denn auch bei der schweren Bedrohung einer Traumatisierung übernimmt die Amygdala das Kommando und löst sofort eine körperliche Alarmreaktion aus. Unser Herz schlägt schneller, die Atmung geht flacher und unsere Sinne werden geschärft. Alles, damit wir angreifen oder schnellstmöglich aus der Situation fliehen können. Im Ernstfall soll dadurch unser Überleben gesichert werden.
Zusätzlich werden auch während einer Traumatisierung die Verbindungen zu den Gehirnbereichen gekappt, die für das bewusste Denken verantwortlich sind. Allerdings geschieht das über eine längere Zeit. Das Problem dabei: Indem diese Verbindungen nicht nur kurz unterbrochen werden, kann auch das, was wir während eines Traumas erleben, erst mal nicht angemessen verarbeitet und abgespeichert werden. Fachleute sprechen dabei vom sogenannten Traumagedächtnis.
Beispiel: Das Traumagedächtnis wird oft mit einem Schrank verglichen, in dem wir alles einfach so hineinwerfen. Also all das, was wir während einer Traumatisierung erleben. Es wird erst mal nichts sortiert und an den „richtigen” Platz geräumt – dafür ist keine Zeit.
Mögliche Folgen einer Traumatisierung
In den folgenden Stunden, Tagen oder auch Wochen nach einer Traumatisierung befinden wir uns meist weiterhin in einem enormen Stresszustand. Es braucht Zeit, bis das Erlebte verarbeitet und das Chaos im Schrank aufgeräumt ist. Bis also Körper und Geist wieder zur Ruhe kommen können. Das kann sich in ganz unterschiedlichen Reaktionen bemerkbar machen. Betroffene berichten beispielsweise von Stimmungsschwankungen, Nervosität oder Konzentrationsproblemen. Oft kreisen die Gedanken auch tagsüber um die erlebte Traumatisierung oder es zeigen sich körperliche Symptome wie Übelkeit oder Kopfschmerzen. Ein Trauma bei Kindern und Jugendlichen zeigt sich wiederum zusätzlich besonders in Albträumen oder Entwicklungsrückschritten. Solche Stressreaktionen sind ganz normale Reaktionen auf ein außergewöhnliches Ereignis. Wie lange sie anhalten, ist jedoch von Mensch zu Mensch verschieden.
Was tun nach einer Traumatisierung?
In den allermeisten Fällen klingen die genannten Symptome von alleine wieder ab. Dabei ist es einerseits wichtig, dass du zur Ruhe kommst und entspannenden Tätigkeiten nachgehst. Das kann bedeuten, dass du regelmäßige Spaziergänge unternimmst, dich mit einem guten Buch aufs Sofa legst oder dich bekochen lässt. Damit signalisierst du deiner Amygdala, dass du außer Gefahr bist. Achte aber andererseits darauf, dich nicht abzuschotten, sondern mit nahestehenden Menschen über die Traumatisierung und deine Gefühle zu sprechen. Dass ihr den Schrank sozusagen ein klein wenig gemeinsam aufräumt. Legt dazu vorher fest, wie lange ihr über das Erlebte sprechen wollt. Das kann helfen, die eigenen Grenzen einzuhalten und euch dann auch wieder anderen Dingen zu widmen.
Wenn die Symptome bleiben: die posttraumatische Belastungsstörung
In manchen Fällen halten die eigentlich normalen Reaktionen auf eine Traumatisierung an oder verschlimmern sich sogar. Dann durchleben Betroffene das Trauma – ausgelöst durch sogenannte Trigger – immer und immer wieder, hängen in Gedanken an die Ereignisse fest und sind permanent angespannt. In der Folge werden beispielsweise Orte oder auch Personen vermieden, die Erinnerungen an das Trauma oder vielleicht sogar Schuldgefühle auslösen. Geschieht das im ersten halben Jahr nach einer Traumatisierung, sprechen Fachleute von einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Liegt eine posttraumatische Belastungsstörung bei dir vor, dann helfen Ruhe und Gespräche allein oft nicht aus. Dann braucht es psychotherapeutische Hilfe – beispielsweise in Form einer kognitiven Verhaltenstherapie. Ziel einer solchen Psychotherapie ist es, das Erlebte so gut wie möglich aufzuarbeiten – beispielsweise über die Sprache. Dazu gibst du deiner Traumatisierung sozusagen eine Geschichte, die du komplett aufschreibst. Das ist dann so, als würdest du jedes Teil aus dem Trauma-Schrank einmal in die Hand nehmen, anschauen und an den für dich „richtigen” Platz einordnen. Darüber hinaus kannst du lernen, mit deinen belastenden Gedanken und Gefühlen umzugehen und dein Wohlbefinden zu stärken.
Auf unserem Blog beantworten wir dir die Fragen, „Wie finde ich einen Psychotherapieplatz?”, „Wie läuft eine Psychotherapie ab?” und wir zeigen dir, welche Therapieformen es gibt.
Online-Kurse nach einer Traumatisierung
Neben der klassischen Psychotherapie gibt es auch Online-Kurse, die dir bei der Bewältigung deiner Symptome helfen können. Das Online-Programm StAR (für Stärken, Aufarbeiten und Rüsten) beruht beispielsweise auf Techniken aus der kognitiven Verhaltenstherapie und richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene (15-21 Jahre), die eine Traumatisierung erlebt haben. In 9 Kurseinheiten lernen die Teilnehmenden, ihren Schrank aufzuräumen und ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen.
Falls der Online-Kurs für dich in Frage kommen sollte oder du jemanden kennst, auf den oder die das zutrifft, dann kannst du StAR im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie kostenfrei nutzen. Alle weiteren Infos und die Studienanmeldung findest du hier bei uns ▷ Zur StAR-Studie.
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