Eine schweißtreibende Aufgabe – oder wie zeigt sich deine Versagensangst?
Das Leben kann eine einzige Prüfung sein und das ist auch gut so, denn die kleinen und großen Herausforderungen lassen uns über uns selbst hinauswachsen. Schulabschluss, Führerschein, Sportwettkämpfe, Vorstellungsgespräche und ja, sogar Dates können uns unter großen Leistungsdruck setzen. Und klar – diese Situationen sind oft mit Aufregung und Nervosität verbunden – das ist völlig normal und kein Grund zur Sorge. Doch was ist, wenn die Angst vor dem eigenen Versagen so stark wird, dass wir uns regelrecht gelähmt fühlen und denken, keine Herausforderung mehr annehmen, geschweige denn meistern zu können? Die eigene Versagensangst kann sich dabei ganz unterschiedlich bemerkbar machen.
Die typischen Anzeichen von Versagensangst können klassische Angstsymptome sein: Herzrasen, Zittern, eine schnellere Atmung oder Schlaflosigkeit. Aber auch das Gefühl, nicht mehr klar denken zu können, Vergesslichkeit, Konzentrationsprobleme bis hin zu Panikattacken – all das können Zeichen von Versagensangst sein. Die Intensität und Anzahl der Symptome sind dabei ganz individuell. Meist treten die Symptome nicht nur in der eigentlichen Situation auf, sondern bereits lange vorher. Nämlich nicht dann, wenn sich unser „Versagen“ zeigen könnte, sondern wenn sich unsere Gedanken die Möglichkeit des „Versagens“ bildlich vorstellen und dies bunt ausschmücken.
Wenn sich die Versagensangst auf eine bestimmte Situation bezieht (z. B. Examensangst), diese stark ausgeprägt ist und eine gewisse Anzahl von Angstsymptomen vorliegt, die dich emotional belasten, kann von einer spezifischen (isolierten) Phobie gesprochen werden.
- Ein Beispiel dafür ist die Atychiphobie, wörtlich übersetzt „Angst vor Unfällen”. Bedeutet in der Psychologie: Angst, Fehler zu machen, zu scheitern oder Kritik zu bekommen, weil vermeintliche fremde Erwartungen nicht erfüllt wurden.
Der Teufelskreis des Vermeidens
Die Angst zu versagen kann so belastend sein, dass wir Aufgaben, Prüfungen und Herausforderungen gar nicht erst angehen. Wir versuchen sie zu meiden, um die Möglichkeit des Scheiterns zu umgehen und wollen so unsere Angst und unsere Angstgedanken loswerden.
Wenn wir unter Versagensangst leiden, fühlt sich das Vermeiden der Situation, die wir fürchten, zuerst richtig gut an. Es beschert uns nämlich eine kurzfristige Entlastung. Wir lernen: Wenn wir dem Unangenehmen aus dem Weg gehen, fühlen wir uns erst einmal besser und werden es vermutlich in der nächsten Situation, in der wir Angst haben zu versagen, wieder so machen. Das Problem dabei ist, dass die Angst auf diese Weise langfristig bestehen bleibt und wir uns immer mehr zurückziehen. Der Druck wird auch stetig höher, denn wir können diesen Situationen nicht auf ewig entfliehen. Das Vermeiden der Situationen erhält die Versagensangst aufrecht. Ein Teufelskreis entsteht.
Mit der Angst ist es jedoch so: Sie wird langfristig nur weniger, wenn wir uns ihr stellen.
Zunächst mag es sich so anfühlen, als würde die Angst weniger, wenn wir sie vermeiden. Denn wenn wir uns ihr stellen, wird sie erst einmal mehr und das kann unangenehm sein. Doch nur wenn wir über unseren Schatten springen und in den entsprechenden Situationen bemerken, dass wir die Angst aushalten können und dass es vielleicht sogar gar nicht so schlimm ist wie erwartet, kann die Angst langfristig abnehmen.
Kann Versagensangst auf eine Depression hindeuten?
Bei jeder Aufgabe besteht auch das Risiko des Scheiterns und die Sorge davor kann enorm belastend sein. Sie kann dazu führen, dass wir uns nicht einmal trauen, uns an die Aufgabe heranzuwagen, aus Angst vor dem, was geschehen könnte, wenn wir sie nicht zu unseren Ansprüchen bewältigen können. Die chronische Angst zu versagen kann sogar so weit gehen, dass sie in einer Depression mündet. Hier stellt sich jedoch manchmal ein Henne-Ei-Problem, denn Versagensängste zeichnen sich bei unterschiedlichen psychischen Erkrankungen ab, wie beispielsweise bei Depressionen. Aber auch bei Angststörungen, wie der generalisierten Angststörung oder der sozialen Phobie. Versagensängste können also Teil einer Depression sein, müssen aber nicht dazu geführt haben.
Zu den Symptomen einer Depression gehört häufig eine negative Bewertung gegenüber sich selbst. Es kommt also zu einem verminderten Selbstwert und einem geringen Selbstvertrauen. Menschen, die unter Depressionen leiden, denken häufig über sich selbst, sie könnten nichts gut hinbekommen. Wenn du unter Versagensangst leidest, bedeutet es also nicht direkt, dass du an einer Depression erkrankt bist. Wenn dich deine Versagensangst jedoch belastet und vielleicht sogar deinen Alltag einschränkt, kann es hilfreich sein, dir Hilfe zu suchen. Bei einem Psychotherapeut oder einer Psychiaterin zum Beispiel. Alle Infos, um ein Erstgespräch zu vereinbaren, findest du in unserem Artikel: Wie finde ich einen Psychotherapieplatz.
Wie kannst du deine Versagensangst überwinden?
Es gibt Strategien, mit denen du deine Versagensangst langfristig überwinden kannst. Zwar wird die Angst vor Fehlern vielleicht nicht direkt komplett verschwinden, aber sie wird weniger werden. Versuche dir vorzustellen:
1Fehler sind menschlich
Diesen Satz schon mal gehört? Und es stimmt – wir Menschen machen Fehler und das vermutlich jeden verdammten Tag. Und das ist auch in Ordnung. Versuche, das Thema zu normalisieren, nimm dem Scheitern seinen „Zauber“ und seine Macht. Dir ist sicher selbst bewusst, dass niemand perfekt ist und dass Fehler und Scheitern eben dazugehören. Jetzt gilt es, dieses Wissen auch emotional zu verarbeiten und zu begreifen.
Oft fällt es schwer, diese Ansichten für sich selbst zu akzeptieren. Du kannst dich stattdessen einmal fragen: Wie würde ich zum Beispiel mit einem geliebten Menschen umgehen, der gerade an einer Aufgabe gescheitert ist? Was würdest du ihm oder ihr sagen? Vermutlich würdest du das Ganze halb so eng sehen, nicht wahr? Und versuchen ihn oder sie wieder aufzumuntern. Mit uns selbst sind wir häufig strenger als mit anderen. Das muss so nicht sein. Wir können uns in Selbstfürsorge üben, mit uns selbst nicht so hart ins Gericht gehen und so entspannter werden. Wie das besser gelingt, kannst du auch in unserem Artikel zum Thema „Mit sich ins Reine kommen“ nachlesen.
2Never failed so good
Noch nie so gut gescheitert wie heute! Klingt paradox? In der Psychotherapie nennen wir das „Worry exposure“. Bei Ängsten geht man in der Psychotherapie häufig in die Konfrontation und stellt sich der Angst. Das funktioniert auch bei Versagensangst mit einem kleinen Gedankenexperiment.
Du kannst dich einmal fragen: „Was würde im schlimmsten Fall passieren?“ Wenn du tatsächlich diese eine Klausur nicht bestehst, was würde dann im schlimmsten Fall passieren? Wir kreisen zwar häufig mit unseren Sorgen um dieses Ereignis, und dennoch denken wir die Situation meist nicht zu Ende. Oft macht uns diese Frage bewusst, dass das Ergebnis nicht einmal halb so schlimm wäre, wie wir es uns oft ausmalen. „Dann würden die anderen vielleicht denken ich bin nicht fähig.“ Und was wäre daran so schlimm? War es in der Vergangenheit immer so, dass andere deine Fähigkeiten nur nach einer einzigen Prüfung beurteilen? So merkst du vielleicht, dass du auch mit dem „Worst Case“ umgehen könntest.
3Dein Leben Revue passieren lassen
Eine Möglichkeit dir deiner Stärken wieder mehr bewusst zu werden und den Fokus auf deine Ressourcen zu lenken, statt in deinen Ängsten zu bleiben, kann die Timeline sein.
Übung
Die Zeitleiste
Für diese Übung benötigst du ein Blatt Papier und drei Stifte in unterschiedlichen Farben.
Beginne mit einer horizontalen Linie über das gesamte quere Blatt. Der Endpunkt rechts ist das Jetzt. Den Startpunkt wählst du selbst aus. Wichtig ist, dass du dir einen Zeitraum deines Lebens anschaust, der vielleicht relevant für deine jetzige Herausforderung sein könnte. Du beginnst damit, bedeutende Ereignisse, auf der Zeitleiste zu markieren, bei denen du bereits wichtige Prüfungen absolviert oder schwierige Situationen gemeistert hast. Z.B. deinen Schulabschluss, dein erstes Date, deine erste eigene Wohnung, … Dann nimmst du eine neue Farbe und schreibst zu jedem Ereignis die Ressourcen, Stärken, Fähigkeiten und Eigenschaften auf, die dir damals geholfen haben, oder die du dabei neu gewonnen hast. In einer dritten Farbe fügst du noch die Namen wichtiger Personen aus dieser Zeit hinzu.
Blicke jetzt in Ruhe über deine persönliche Timeline. Lass dein Leben und all die großen und kleinen Hindernisse, die du bereits bewältigt hast, einmal Revue passieren. Was fühlst du? Was fällt dir auf? Was kannst du aus deiner Vergangenheit mitnehmen und bei der jetzigen Herausforderung anwenden?
Gelernt ist gelernt?
Wir lernen von klein auf, dass wir erfolgreich sein sollten und gut in dem, was wir tun. Uns wird der Glaubenssatz eingetrichtert, dass es ein Zeichen von Schwäche ist, wenn wir nicht abliefern, wie von uns erwartet. Es ist an der Zeit, dass wir umdenken und dazulernen. Fehler sind da, um gemacht zu werden und um daraus zu lernen. Wir sollten genauso gütig und großzügig uns selbst gegenüber sein, wie wir es anderen gegenüber sind, wenn sie Fehler machen. Also übe dich in deinen neuen Gedanken und im Fehler machen #neverfailedsogood.
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