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Was ist eigentlich normal?

Du checkst doppelt, ob der Herd aus ist, bevor du die Wohnung verlässt? Du musst oft weinen ohne Grund, bist ständig müde trotz Schlaf oder hattest noch keine Beziehung? Ist das alles noch normal? Und was ist „normal” eigentlich? So schwierig die Antwort, so belastend kann es auch sein, sich diese Frage überhaupt zu stellen. Und zwar auch, weil die Grenzen zwischen normal und unnormal fließend sind. Wir schauen uns an, was Normalsein bedeutet, woher der Wunsch kommt, der Norm zu entsprechen und was du tun kannst, um deine Normalität zu finden.

Was heißt es, normal zu sein? 

Normal bedeutet, der Norm zu entsprechen, also den allgemein anerkannten und als verbindlich geltenden Regeln und Erwartungen für das Zusammenleben in einer Gesellschaft. Fällt jemand aus der Reihe und bricht mit den Normen, kann das durchaus dazu führen, dass andere sich abwenden oder die betreffende Person zurechtweisen. Dabei wird es jedoch oft auch als normal angesehen, mit genau diesen Erwartungen zu brechen. Zum Beispiel wenn Menschen aus der Not heraus lügen oder bei einer Feier mal über die Stränge schlagen. Was normal ist, ist in der Regel also all das, was in die jeweilige Gesellschaft passt, der Mehrheit entspricht, was erwartbar ist, funktioniert und was dadurch nicht stört und keinen Stress bereitet. 

Dabei kann es aber auch erstrebenswert sein, nicht der Norm zu entsprechen. Das zeigt sich dann beispielsweise in dem Wunsch, etwas Außergewöhnliches zu erleben, etwas Verrücktes zu tun oder jemand Besonderes zu sein. Und trotzdem wünschen sich die meisten wohl ein ganz normales Leben. Aber woher kommt überhaupt der Wunsch, normal zu sein?

Der Wunsch nach Normalität 

Wir Menschen sind soziale Wesen und das Bedürfnis nach Bindung gehört zu unseren (psychischen) Grundbedürfnissen. Darunter verstehen wir das Bedürfnis nach Kontakt und körperlicher und/oder seelischer Nähe zu anderen. Wenn wir uns beispielsweise in einer Familie geborgen oder uns einem Sportverein zugehörig fühlen, dann wird dieses Bedürfnis erfüllt und das kann zu unserem Wohlbefinden beitragen. Der Norm und den gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen, erhöht dabei die Wahrscheinlichkeit, angenommen und damit Teil einer Gruppe zu sein. Demnach wäre es also von Vorteil, normal zu sein.

Schon in der Steinzeit sicherte uns die Zugehörigkeit zu einer Gruppe das Überleben. Sei es bei der Jagd, zum Schutz vor Feinden oder als Wärmespender – Teil eines sozialen Miteinanders zu sein, bot viele Vorteile.

Ein normales Leben zu führen bedeutet zudem für die allermeisten auch, ein gesundes Leben zu führen. Denn obwohl es beispielsweise normal ist, dass Menschen krank werden, sind vor allem schwere Erkrankungen nicht die Regel und können das bis dahin gewohnte Leben komplett verändern und Ängste auslösen. Der Wunsch nach Normalität kann also auch ein Wunsch nach Sicherheit und körperlicher sowie psychischer Gesundheit sein.

Wenn die Psyche aus der Reihe fällt 

Psychisch erkrankt zu sein bedeutet erst einmal, beeinträchtigt zu sein. Das kann sich in Gedanken, Gefühlen, im Verhalten oder auf körperlicher Ebene und in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen zeigen. In der Psychologie ist dabei sehr genau festgelegt, welche Kriterien wie lange erfüllt sein müssen, damit ein Erleben nicht mehr als normal, sondern als psychisch krank eingeschätzt wird. Dazu werden Befunde erhoben, Fragebögen ausgewertet, Betroffene und Angehörige befragt und auf die Erfahrung von Fachleuten zurückgegriffen. Ergibt sich dann ein bestimmtes Muster, kann eine jeweilige Diagnose gestellt werden. 

Was ist normal für dich?

Keine Diagnose zu erfüllen, bedeutet aber nicht, dass sich das, was du erlebst, für dich nicht belastend und unnormal anfühlen darf. Ganz im Gegenteil. Eine klare Grenze zwischen „normal” und „nicht normal” gibt es im Alltag nämlich genauso wenig, wie es nur „richtig oder falsch” gibt. Demnach ist es möglich, dass einige Menschen etwas als ganz normal wahrnehmen, während andere die gleiche Situation als sehr belastend erleben. Ein Zustand ist also vor allem dann nicht mehr normal, wenn du unter ihm leidest. Ganz unabhängig von offiziellen Diagnosen. 

Entsprechend wird auch in einer Psychotherapie in der Regel nicht die Frage gestellt, ob das Erleben einer Person ganz allgemein (noch) normal ist. Vielmehr geht es darum, wie hilfreich und zielführend ein bestimmtes Verhalten ist und ob du Leidensdruck erlebst. Was sich also für dich ganz persönlich gut und normal anfühlt und was nicht. 

„Das ist doch nicht normal.” – Das kannst du tun

Wenn du dich anders fühlst als normalerweise oder nicht der Norm entsprichst, obwohl du dir genau das wünscht, kann das sehr belastend sein. Dann kann der Wunsch entstehen, etwas daran zu verändern. Dabei gibt es verschiedene Wege, mit denen du dein Wohlbefinden stärken und deinem Wunsch nach Normalität gerecht werden kannst.

Menschen können sich wegen ganz unterschiedlicher Gründe nicht normal fühlen. Das können psychische Beschwerden sein, aber auch der Eindruck, anders auszusehen oder andere Vorlieben zu haben als „die Anderen”. Die folgenden Tipps werden daher mal mehr, mal weniger hilfreich sein. Schau also, was zu dir und deiner Situation passt.

Erkennen 

Sich als nicht normal zu erleben, ist erst mal oft ein wenig greifbares Gefühl. Dann können Gedanken aufkommen wie „Mit mir stimmt was nicht.” oder „Das ist nicht richtig.” und zwar ohne genau zu wissen, was eigentlich nicht normal sein soll. Dann kann es hilfreich sein, den Eindruck konkreter zu machen. Inwiefern fühlst du dich anders als normalerweise? Wo genau möchtest du der Norm entsprechen? Misst du dich an einem bestimmten Ideal? Versuche dabei, möglichst wertfrei zu bleiben und erst mal nur zu beschreiben, was du wahrnimmst. 

Verstehen 

Zu verstehen, warum du das erlebst, was du erlebst, kann sehr entlastend sein. Ein unnormaler Zustand kann nämlich vor dem Hintergrund der Situation, in der du dich gerade befindest, ganz normal sein. Wenn du beispielsweise unter akutem oder chronischen Stress leidest oder dich in einer depressiven Episode befindest, ist es normal, dass du dich angespannt oder niedergeschlagen fühlst. 

Verändern

Wenn du erkannt und verstanden hast, woher dein Erleben kommt, kannst du oft viel gezielter Veränderungen in die Wege leiten. Und das heißt nicht, dass du dich immer der Norm anpassen musst, um zufriedener zu sein. 

Wechsle deine Perspektive

„Das ist nicht normal.” kann schnell zu einem negativen Stempel werden, den wir Menschen oder Dingen aufdrücken. Dabei steht dahinter erst mal nur die Kategorie „anders als gewöhnlich” oder „anders als die Mehrheit” – und das kann durchaus auch positiv sein. Wenn du das scheinbar nicht Normale als Besonderheit wahrnimmst, als etwas, das dich von der breiten Masse abhebt, dann kannst du deinen Selbstwert stärken und mit dir ins Reine kommen. 

» Wenn du immer versuchst, normal zu sein, wirst du niemals erfahren, wie besonders du sein kannst. «

Maya Angelou

Gute Vergleiche, schlechte Vergleiche

Sich mit anderen zu vergleichen, ist erst mal ganz normal. Auch hier gilt, dass wir Menschen als Herdentiere den sozialen Vergleich brauchen, um uns abzugrenzen, zu definieren und unsere Identität zu finden. Wenn wir unseren Fokus dann aber nur auf diejenigen richten, die uns scheinbar überlegen sind, kann schnell der Eindruck entstehen, das sei die Norm. So lassen uns die sozialen Medien beispielsweise oft glauben, der vermeintlich perfekte Körper und das heile Familienleben seien normal. Das Gefühl, diesen scheinbaren Standard nicht zu erfüllen, kann dann zu Leidensdruck führen. In solchen Fällen solltest du deine Vergleiche überdenken.

Wenn du dich nach einem Vergleich schlechter fühlst als vorher, dann war das kein sinnvoller Vergleich. Denn auch wenn wir uns durchaus mit Menschen vergleichen dürfen, die etwas besser können, dann sollten uns auch diese sogenannten Aufwärtsvergleiche nur motivieren und uns nicht unter Druck setzen.

Du bist nicht allein

In einer Gesellschaft bestimmt die Mehrheit, was der Norm entspricht. Das eigene Erleben als nicht normal wahrzunehmen, kann also dazu führen, sich einsam und abgegrenzt zu fühlen. In dem Fall kann es helfen, Menschen zu suchen, denen es ähnlich geht und sich mit ihnen auszutauschen. Zu sehen, dass sich beispielsweise auch andere in einer Depression niedergeschlagen und antriebslos fühlen, kann entlasten und zusätzlich das eigene Bindungsbedürfnis erfüllen. Eine gute Anlaufstelle können daher Selbsthilfegruppen sein, die beispielsweise über die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) gefunden werden können: NAKOS.de oder direkt über die Datenbanksuche von NAKOS

Wann solltest du dir professionelle Hilfe suchen? 

Viele Menschen merken, wenn es ihnen nicht gut geht oder sie mit Situationen und Lebensumständen konfrontiert werden, die für sie nicht normal sind. Besonders bei psychischen Beschwerden neigen viele aber dazu, sich eher zu spät als früh professionelle Hilfe zu suchen, weil sie beispielsweise unsicher sind, ob es ihnen „schlecht genug” geht und ob das, was sie erleben nicht doch normal ist. In solchen Fällen kann es helfen, dir folgende Fragen zu beantworten: 

  • Fühlst du dich anders als normalerweise?
  • Beunruhigen dich diese Veränderungen und leidest du unter ihnen?
  • Dauern diese Veränderungen an oder werden schlimmer?
  • Halten dich die Veränderungen davon ab, dein Leben so zu gestalten, wie du möchtest? 
  • Helfen deine bisherigen Strategien nicht mehr?
  • Leiden deine Beziehungen (z. B. Freundschaften oder Familie)?
  • Äußert sich dein vertrautes Umfeld besorgt oder bemerkt, dass du dich verändert hast?

Je mehr Fragen du mit Ja beantwortest, umso sinnvoller kann es sein, dir zusätzlich ärztliche und/oder psychotherapeutische Unterstützung zu suchen. Und sei es, um weiter Klarheit zu bekommen. Denn deine Beschwerden einzuschätzen und über weitere Schritte zu entscheiden, musst du nicht alleine tun. Auf unserem Blog zeigen wir dir, welche Therapieformen es gibt und wie du einen Therapieplatz finden kannst.

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