Der Lockdown als Slowdown
Hätte uns jemand vor zwei Jahren von den Lockdown-Maßnahmen erzählt, hätten wir diese drastische Änderung unserer Lebensumstände nicht für möglich gehalten. Selbst als es dann tatsächlich soweit war, wussten wir zunächst nicht, wie uns die äußeren Einschränkungen psychisch beeinträchtigen würden. Denn erst jetzt finden wir letztendlich heraus, wie sie sich langfristig anfühlen.
Dazu gehört auch, dass wir uns an sie gewöhnt haben und sie uns weniger beschäftigen. Wenn wir darauf achten, können wir daran erkennen, wie anpassungsfähig wir als Menschen sind. Dazu gehört nicht nur bestimmte Dinge irgendwann „in Kauf zu nehmen”, sondern uns bestmöglich zu arrangieren, die Not zur Tugend zu machen und dem Lockdown etwas Positives abzugewinnen. Stichwort: Entschleunigung.
Woher kommt die Angst vor Ende des Lockdowns?
Jetzt leben wir also entschleunigt vor uns hin, halten Online-Meetings in Jogginghose – wenn überhaupt – ab, haben keine lästigen Fahrtwege zur Arbeit, brauchen keine Ausrede vor uns selbst, warum wir nicht ins Fitnessstudio gehen und Essen liefern zu lassen, gehört fast schon zum guten Lockdown-Ton. Schließlich müssen die Restaurants auch irgendwie überleben.
Wenn wir nun von den lang ersehnten Lockerungen hören, wird uns neben aller Freude doch ein bisschen mulmig. Lockerungen könnten nicht nur das Ende der Bequemlichkeiten bedeuten, auch unsere FOMO, the fear of missing out, könnte wieder hochkochen. Wenn alles offen und möglich ist, dann müssen wir wohl auch wieder mit den anderen mithalten: bestenfalls mit Hose und gestylt im Büro aufschlagen, vorzeigbare Feierabendpläne, abenteuerliche Fernurlaube, Partys mit möglichst vielen Gästen, Selfies im Fitnessstudio – die Rede ist von Freizeitstress.
Wie kommt es zu Freizeitstress?
Freizeitstress kann einerseits entstehen, weil wir so vielseitig interessiert sind und uns daher kaum entscheiden können, ob wir lieber Fußball spielen, Arabisch lernen oder den Kochkurs machen wollen – also melden wir uns einfach für alles an. Die Folge kann allerdings sein, dass wir keine Minute Leerlauf haben und auch, wenn uns alle Aktivitäten noch so viel Spaß machen, können wir in Stress geraten.
Andererseits kann Freizeitstress dadurch entstehen oder mitbedingt sein, dass wir uns mit anderen vergleichen. Wir sehen das Leben unserer Mitmenschen und fragen uns, warum wir eigentlich immer noch kein Yoga machen oder noch nie ein Escape-Game gespielt haben. Wir verspüren einen Druck, der an unserem Selbstwert kratzt. Also verplanen wir unsere Freizeit mit Aktivitäten, um genauso beschäftigt und interessant wie andere zu sein. Dadurch kann es leicht zu einem zu viel des Guten und Stress kommen.
Die Angst vor dem Ende des Lockdowns rührt unter anderem daher, dass wir uns sorgen, uns nach allen Möglichkeiten normaler Umstände wieder verausgaben zu können und vermeintlich zu müssen.
Der erste Schritt, wenn wir die Angst vor Ende des Lockdowns spüren
Wie bei allen Ängsten gilt auch bei der Angst vor Ende des Lockdowns und Freizeitstress: Je mehr wir versuchen, sie zu kontrollieren oder Angstgedanken loszuwerden, desto mehr werden wir uns auf sie fokussieren und somit unter ihnen leiden.
Der erste Schritt ist deshalb anzuerkennen: Ja, es klingt seltsam, aber ich habe Angst und fühle mich unwohl beim Gedanken an das Leben nach dem Lockdown.
Natürlich bedeutet das nicht, dass wir uns wünschen, die Lockdown-Situation möge länger anhalten. Es geht vielmehr darum, sich ganz konkret über das klar zu werden, was der Lockdown uns gelehrt hat. Indem wir uns diese Erkenntnisse weiterhin bewusst machen und neue gute Gewohnheiten aufrechterhalten, können wir uns davor wappnen, in der Normalität ins Schwimmen zu geraten.
Entspannt und entschleunigt auch nach dem Lockdown
Es waren nicht nur die äußeren Umstände, die viele Menschen, die sich schon vor dem Lockdown nach Entschleunigung sehnten, dabei unterstützt haben, endlich wirklich runterzufahren. Es war auch das Wissen: Alle Menschen machen gerade nicht mehr als ich. Ich bin nicht die einzige Person, die wenig unternimmt und daher weniger erlebt. Ich muss mich also nicht schlecht fühlen, wenn ich zuhause bin, mehr schlafe, lese und mich vorrangig um Inneres und nicht um Äußeres kümmere.
Wenn wir auch nach dem Lockdown entschleunigter leben wollen, müssen wir es also garantiert aushalten, dass andere wieder hochfahren – während wir unsere Muße beibehalten.
Natürlich können wir unsere wiedererlangten Freiheiten genießen, uns mit Freunden treffen oder in den Urlaub fahren. Aber wir sollten uns dabei immer fragen: Mache ich das gerade für mich oder um meine Angst zu beruhigen, etwas zu verpassen?
Eine mutige Liste
Es braucht Mut, sich überhaupt einzugestehen, dass der Lockdown auch positive Aspekte mit sich gebracht hat. Leicht gerät man vor anderen oder vor sich selbst in Erklärungsnot, denn schließlich wären wir froh, hätte es diese Pandemie nicht gegeben. Doch anstatt frustriert an diesem unerfüllbaren Wunsch festzuhalten, können wir auch mutig sein und uns fragen:
Was konnte und kann ich durch die Corona-Pandemie und den Lockdown lernen? Mache eine Liste mit positiven Aspekten, die du dieser schwierigen Zeit für dich abgewinnen konntest.
Es kann sich dabei um Eigenschaften wie Geduld, Gleichmut oder Anpassungsfähigkeit handeln. Aber auch um konkrete Gewohnheiten wie die täglichen 8 Stunden Schlaf, Meditation, Lese- oder Familienzeit, regelmäßige Telefonate mit Verwandten, Ordnung machen in der Wohnung, Yoga oder gemütliche Pärchen-Abende vor dem Fernseher.
Bewusstheit und Planung statt Angst vor dem Ende des Lockdowns
Wenn du dir deine positiven Eigenschaften wie Geduld und Anpassungsfähigkeit bewusst machst, die dieser Lockdown uns allen regelrecht abverlangt hat, kannst du damit deinen Selbstwert stärken. Schreibe sie dir zum Beispiel auf und hänge sie an den Kühlschrank.
Um weniger Unbehagen oder Angst vor Ende des Lockdowns zu empfinden, kannst du dir außerdem ganz konkret vornehmen, welche Gewohnheiten du beibehalten möchtest und diese planen. Nimm dir zum Beispiel weiterhin 10 Minuten Zeit, um morgens zu meditieren, auch wenn es wieder ins Büro geht. Oder gehe nur jedes zweite Wochenende an einem Tag abends weg, um dich an dem anderen genügend auszuruhen.
Wenn du bei diesen Vorhaben weniger unter dem Gedanken leiden willst, dass alle anderen vermeintlich viel mehr erleben als du, kannst du dabei folgendes Mantra im Kopf behalten: Achtsam und bewusst statt Stress und Frust. Und die Normalität kann kommen.
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