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Alkoholbedingte Schlafstörung: Prävalenz, Physiologie und Behandlung

Seit Jahrtausenden nutzt die Menschheit Alkohol aus verschiedenen Gründen. Neben der euphorisierenden Wirkung ist oft der Effekt als Entspannungsmittel gewünscht. Nicht selten wird Alkohol daher von Patienten und Patientinnen als Selbstmedikation zur Behandlung von Schlafstörungen eingesetzt. Welchen Einfluss Alkoholkonsum auf den Schlaf und die Schlafphasen hat, welche Folgen sich daraus ergeben und welche Therapiemöglichkeiten Ihnen zur Behandlung einer alkoholbedingten Schlafstörung zur Verfügung stehen, erfahren Sie in diesem Artikel.

Das Wichtigste in Kürze

  • Eine alkoholbedingte Schlafstörung trifft laut internationaler Klassifikation von Schlafstörungen (ICSD) auf Personen zu, die seit mind. 30 Tagen Alkohol zur Schlafinduktion konsumieren. 
  • In der ersten Nachthälfte zeigt sich durch Alkohol oft ein schlaffördernder Effekt: verkürzte Einschlafzeit, verkürzter REM-Schlaf und verlängerte Tiefschlafphasen. 
  • In der zweiten Nachthälfte setzt ein schlafstörender Effekt ein: oberflächlicher Schlaf mit zahlreichen Unterbrechungen und verlängerte REM-Schlafzeit.
  • Alkohol wirkt sich negativ auf eine mögliche bestehende obstruktive Schlaf-Apnoe aus
  • Alkoholbedingte Schlafstörungen können psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Abhängigkeiten fördern
  • Therapeutisch steht zunächst die Alkoholabstinenz im Fokus. Die Therapie der Schlafstörung kann dann mit verhaltenstherapeutischen oder pharmakologischen Maßnahmen erfolgen

Die Prävalenz der alkoholbedingten Schlafstörung

Alkohol ist weltweit das häufigste Suchtmittel, welches bei regelmäßigem Konsum mit zahlreichen negativen Folgen einhergehen kann. Eine davon stellt die Entwicklung und Aufrechterhaltung einer alkoholinduzierten Schlafstörung dar. Die Prävalenzschätzungen von Schlafstörungen bei alkoholabhängigen Betroffenen reichen je nach Literatur von 25-72%. Aber auch nicht-alkoholabhängige Personen, die unter Insomnien leiden, neigen mitunter zum Missbrauchsverhalten. Etwa 15% der Personen mit insomnischen Beschwerden nutzen Alkohol regelmäßig als Schlafmittel. Deshalb ist in der Internationalen Klassifikation von Schlafstörungen (ICSD) die „alkoholbedingte Schlafstörung“ aufgeführt, welche auf Personen zutrifft, die seit mindestens 30 Tagen regelmäßig Alkohol zum Zweck der Schlafinduktion konsumieren. 

Die Physiologie des regulären Schlafs

Um die Auswirkungen von Alkohol auf den Schlaf und die daraus resultierenden Schlafstörungen zu verstehen, ist es notwendig, sich zunächst den regulären Schlaf näher anzusehen:

Der Schlaf-Wach-Rhythmus

Der Schlaf-Wach-Zustand reguliert sich homöostatisch. In Studien konnte nachgewiesen werden, dass diese Regulation unter anderem durch Adenosin vermittelt wird. Adenosin ist ein Abbauprodukt des (Adenosintriphosphat) ATP-Stoffwechsels, welches im Wachzustand vermehrt angehäuft wird. Diese Akkumulation korreliert mit einer Zunahme des Schlafdrucks. Im Schlafzustand wird Adenosin dann wieder abgebaut.

Die Schlafzyklen

Der Schlaf selbst ist kein homogener Zustand, sondern vielmehr eine Abfolge von Zuständen. Der normale Nachtschlaf besteht aus mehreren Schlafzyklen mit einer Dauer von etwa 1,5 Stunden, welche in der Nacht 5-6 Mal durchlaufen werden. Jeder Zyklus besteht aus einer Non-REM- und einer REM-Phase, die mittels Elektroenzephalografie (EEG)-Messung voneinander unterschieden werden können. Die Non-REM-Phase wird begleitet von einer verstärkten Aktivität des Parasympathikus, was zu Erniedrigung der Atem- und Herzfrequenz sowie des Blutdrucks führt. Diese Phase wird in 4 weitere Unterstadien eingeteilt. Davon bezeichnet man das Stadium I und II als leichten Schlaf, während Stadium III und IV als Tiefschlaf oder Slow-Wave-Sleep (SWS) bekannt sind.

Nach dem Non-REM-Schlaf folgt die REM-Phase. „REM“ steht für „Rapid Eye Movement“, da in dieser Phase schnellen Augenbewegungen auftreten. Andere Muskeln bewegen sich dagegen kaum. Während des REM-Schlafs steigen der Sauerstoffverbrauch und die Durchblutung des Gehirns sowie die Atem- und Herzfrequenz. Wer in dieser Phase geweckt wird, kann sich besonders häufig an Träume erinnern. Zu Beginn der Nacht überwiegt der Non-REM-Schlaf, während sich in der zweiten Nachthälfte dieser zugunsten des REM-Schlafs verkürzt.

Die Auswirkungen von Alkohol auf die Nachtruhe

Alkohol wird im Allgemeinen mit einer Geschwindigkeit von etwa 0,1 g pro kg Körpergewicht pro Stunde verstoffwechselt. Das entspricht bei einem 80 kg schweren Mann etwa dem Alkoholgehalt eines kleinen Glas (0,2 L) Bier. Je nach dem Zeitpunkt des Schlafbeginns im Verhältnis zum Ende des Alkoholkonsums kann der Blutalkoholspiegel in den ersten 3-4 Stunden der Nacht noch weiter ansteigen. In Abhängigkeit vom individuellen Stoffwechsel fällt der Spiegel dann spätestens in der zweiten Nachthälfte unweigerlich ab. Davon abhängig wirkt sich Alkohol in der der Anfangsphase mit hoher Blutalkoholkonzentration anders auf den Schlaf aus als in der darauf folgenden Eliminationsphase.

1Veränderung der Schlafarchitektur

Bei Gelegenheitstrinkern kommt es in der ersten Nachthälfte durchaus zu einem schlaffördernden Effekt. Alkohol setzt die Schlaf-Homöostase stärker unter Druck und kann somit die Einschlafzeit reduzieren. Außerdem verkürzt sich der REM-Schlaf sowie die Latenz, bis dieser einsetzt. Dahingegen ist die Non-REM-Schlafzeit verlängert und man befindet sich häufiger in Tiefschlafphasen. Eine mögliche Erklärung bietet der Gamma-Amino-Buttersäure (GABA)-agonistische Effekt von Alkohol, welcher zur Verstärkung der durch GABA-Rezeptoren vermittelten neuronalen Inhibition führt und somit schlaffördernd wirkt. Dieser schlaffördernde Effekt macht Alkohol zu einem der am häufigsten verwendeten „rezeptfreien“ Schlafmittel.

Beim chronischen Alkoholkonsum hingegen führen biochemische Adaptionsprozesse zu einer Gewöhnung durch verminderte GABAerge neuronale Inhibition. Die Wirkung von Alkohol als Schlafmittel nimmt ab.

In der zweiten Nachthälfte setzt dann der schlafmindernde Effekt ein, der aus der Elimination der Droge aus dem Körper resultiert. Dadurch fällt die GABAerge Wirkung des Alkohols weg. Der Schlaf wird vermehrt oberflächlich (Stadium I) und es kommt zu häufigeren Schlafunterbrechungen. Zudem ist die REM-Schlafzeit verlängert und es treten gehäufter Träume oder Albträume auf. Zusätzlich können die typischen Detoxikationserscheinungen auftreten und den Schlaf negativ beeinflussen: Tachykardie, Schwitzen, Magenbeschwerden oder Kopfschmerzen.

2Einfluss auf den Schlaf-Wach Rhythmus

Veränderungen des Schlaf-Wach-Rhythmus zeigen sich vor allem bei chronisch anhaltendem Alkoholkonsum. Alkohol beeinflusst viele der Neurotransmitter (z. B. Melatonin), von denen bekannt ist, dass sie an der Schlaf-Wach-Regulierung beteiligt sind.  Durch anhaltenden Konsum entwickeln sich Toleranzen und Anpassungen dieser Neurotransmittersysteme. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass die Melatoninsekretion, welche bei gesunden Menschen am Abend ansteigt und gegen 2 Uhr morgens ihren Höhepunkt erreicht, bei alkoholabhängigen Personen abgestumpft oder verzögert sein kann. Dies äußert sich dann in Einschlafschwierigkeiten.

3Verstärkung einer Schlafapnoe

Eine weitere ernstzunehmende Folge sind die Auswirkungen auf eine bestehende obstruktive Schlafapnoe. Alkohol kann die nächtliche Atmung beeinträchtigen, da durch die Entspannung der Muskulatur in den oberen Atemwegen eine Atemwegsobstruktion gefördert wird. Eine obstruktive Schlafapnoe ist mit einer erhöhten Mortalität an Herz- oder Hirninfarkten verbunden. Das Schlafapnoe-Syndrom wird laut Studienlage häufiger bei Menschen, die unter einer Alkoholabhängigkeit leiden, vorgefunden als bei nicht abhängigen Menschen. Ein Zusammenhang zwischen Alkohol und einer zentralen Schlafapnoe wurde bisher jedoch nicht gefunden.

Die Folgen der Schlafstörung durch Alkohol 

Die genauen Funktionen des menschlichen Schlafes sind weiterhin Gegenstand zahlreicher Forschungsarbeiten und noch immer sind viele Fragen offen. Sicher ist jedoch, dass unzureichender Schlaf oder eine Schlaflosigkeit die normalen Funktionen des Schlafes beeinträchtigen und zu zahlreichen negativen Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden führen kann. So wurden negative Folgen für die Immunfunktion, für die kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre Gesundheit und für kognitive Funktionen nachgewiesen.

Außerdem sind Insomnien ein Risikofaktor für die Entwicklung psychischer Erkrankungen wie beispielsweise Depressionen. Weiterhin können Schlafstörungen bei Personen, die unter einer Alkoholabhängigkeit leiden, den Alkoholentzug deutlich erschweren und zu einem Rückfall beitragen.

Auch ein gelegentlicher Alkoholkonsum als Einschlafhilfe kann sich rasch zu einem Missbrauchsverhalten und einer Abhängigkeit entwickeln. Das Muster der anfänglichen Schlafsteigerung durch Alkohol, gefolgt von einer Periode schlechten Schlafs, kann Betroffene in eine Abwärtsspirale führen. Die Schlafstörung wird mit Alkohol behandelt, um ein schnelles Einschlafen zu erreichen. Der anschließende schlechte Schlaf führt zu Tagesmüdigkeit, die mit Koffein behandelt wird, wodurch sich die Schlaflosigkeit verstärkt und mehr Alkohol zum Einschlafen benötigt wird. Deshalb ist es wichtig eine umfassende Diagnostik der Schlafstörung vorzunehmen.

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Die Behandlung der alkoholbedingten Schlafstörung

Die Behandlung der alkoholbedingten Schlafstörung kann herausfordernd sein. Im Allgemeinen ist die Behandlung der Insomnie nicht zielführend, solange die Betroffenen ihren regelmäßigen Alkoholkonsum fortsetzen. In erster Linie ist zunächst eine Abstinenz vom Alkohol zu fördern, bevor eine spezifische Behandlung der Schlafbeschwerden erfolgen sollte. 

Pharmakologische Therapie 

Als pharmakologische Therapieoptionen gegen Schlafstörungen gibt es unter anderem Mittel, die in das GABAerge System eingreifen und durch ihre Wirkung die totale Schlafzeit erhöhen und REM-Schlaf supprimieren. Darunter fallen zum Beispiel Benzodiazepine und Clomethiazol. Aufgrund ihres starken Abhängigkeitspotentials sind diese Mittel jedoch nur kurzzeitig zu nutzen und bei zu Missbrauchsverhalten neigenden Personen nicht zu empfehlen. Eine alternative Option bieten Medikamente aus dem antidepressiven und neuroleptischen Kreis. 

Kognitive Verhaltenstherapie

Um auf die stark nebenwirkungsbehaftete pharmakologische Therapie zu verzichten, werden auch bei der alkoholbedingten Schlafstörung nicht-pharmakologische Behandlungsverfahren wie Entspannungstechniken, kognitive Therapien und Maßnahmen zur Schlafhygiene empfohlen. In mehreren Analysen konnte inzwischen belegt werden, dass für die Behandlung von Schlafstörungen kognitiv-verhaltenstherapeutische Methoden hoch effektiv und langfristig wirksam sind. Dabei konnte in der Effektivität sogar eine Gleichwertigkeit mit der Hypnotikatherapie gezeigt werden, während gleichzeitig kaum Nebenwirkungen zu beobachten sind. Aus diesen Gründen ist die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I) auch die Empfehlung erster Wahl in der S3-Leitlinie. 

Eine mögliche Behandlungsoption bietet die auf der kognitiven Verhaltenstherapie basierende Digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) HelloBetter Schlafen. Hier lernen Betroffene, den eigenen Schlaf und die Ursachen ihrer Schlafprobleme zu verstehen und mittels bewährter Strategien ihre Schlafgewohnheiten positiv zu verändern. Dazu werden den Teilnehmenden innerhalb von 12 Wochen alle Bausteine der KVT-I in einfacher und verständlicher Form vermittelt. Über ein ausführliches Schlaftagebuch kann der Verlauf beobachtet werden. Weitere Informationen zur neuen Therapieoption HelloBetter Schlafen, der Einbindung von psychologischen Therapieprogrammen in den Praxisalltag oder zur DiGA-Zertifizierung finden sie in unserem Leitfaden für Digitale Gesundheitsanwendungen auf unserem Fachblog

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  • Quellennachweis
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