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KVT-I: Kognitive Verhaltenstherapie zur Therapie von Insomnie

Schlafstörungen sind ein häufiger Beratungsanlass in der Hausarztpraxis und nehmen Rang 15 der häufigsten Vorstellungsgründe ein.1 Dabei sind die Insomnien also Ein- und Durchschlafstörungen – die häufigsten Schlafstörungen, wegen denen Betroffene Hilfe suchen. Denn ein dauerhaft unzureichender Nachtschlaf wirkt sich negativ auf die physische und mentale Gesundheit sowie auf die Funktionalität in Alltag und Beruf aus.2 Welche Gesundheitsrisiken eine anhaltende Insomnie mit sich bringt, wie die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I) aufgebaut ist und welche weiteren Therapieoptionen es bei Insomnie gibt, erfahren Sie in diesem Artikel.

Prävalenz und Klassifikation der Insomnien

In der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) wird aktuell zwischen der organischen Insomnie (Ein- und Durchschlafstörung, G47.0) und der nichtorganischen Insomnie (F51.0) unterschieden. Dabei kann in der Regel jedoch selten eine eindeutige körperliche Ursache für die Schlafstörung gefunden werden. Das macht es schwierig, sicher eine organische oder nichtorganische Insomnie zu diagnostizieren.1 

Dies mag einer der Gründe sein, warum in der Neuauflage – der ICD-11 – diese Unterscheidung aufgegeben wurde und die Diagnose der chronischen insomnischen Störung (7A00) aufgeführt wird.3 Im Folgenden sprechen wir daher einfachheitshalber von der Insomnie, da die Therapie der chronischen organischen sowie der chronischen nichtorganischen Insomnie auf den gleichen Prinzipien basiert. Einen ausführlichen Artikel zur Klassifikation und Diagnostik von Schlafstörungen finden Sie in unserem Fachblog. 

Gesundheitsrisiken von Insomnien

Anhaltende Insomnien sind ein Risikofaktor für verschiedene somatische und psychische Erkrankungen. Im Bereich der kardiovaskulären Erkrankungen konnte nachgewiesen werden, dass Insomnien das Risiko für Myokardinfarkte, Herzinsuffizienz und arterielle Hypertonie langfristig erhöhen. Auch können Schlafstörungen ein Risikofaktor für Diabetes mellitus Typ 2 sein. In einigen Studien ergaben sich zusätzliche Hinweise darauf, dass eine dauerhaft zu kurze Schlafdauer langfristig mit einer Gewichtszunahme und der Entwicklung eines metabolischen Syndroms einhergehen könnte.1 

In der Literatur konnte zudem gezeigt werden, dass Insomnien ein Prädiktor für verschiedene psychische Erkrankungen sein können. So ergaben sich Zusammenhänge bei Patienten mit Insomnien, die später depressive Episoden, Suizidalität, Angststörungen oder Substanzabhängigkeiten entwickelten. Nicht zuletzt erhöhen insomnische Beschwerden das Risiko dafür, häufiger krankgeschrieben zu sein und in mehr Unfälle am Arbeitsplatz oder im Straßenverkehr verwickelt zu sein. Diese Risiken machen eine eingehende Diagnostik und anschließende Behandlung von Schlafstörungen so wichtig.1 

Therapie der Insomnie nach S3-Leitlinie

Für die Therapie der Insomnie wird die Kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I) als Behandlung erster Wahl empfohlen. Das heißt, dass allen Betroffenen eine KVT-I angeboten werden sollte. Umfangreiche Metaanalysen konnten belegen, dass die KVT-I bei Insomnie eine mittlere bis große Effektstärke zeigt und auch langfristig über den eigentlichen Behandlungszeitraum hinaus wirksam sein kann. Eine medikamentöse Behandlung wird nur dann empfohlen, wenn es sich um eine akute Erkrankung handelt oder die KVT-I keinen ausreichenden Behandlungserfolg gebracht hat.1 

Bausteine der kognitiven Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I)

Die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie basiert auf Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie und beinhaltet verschiedene Bausteine. Eine umfassende psychotherapeutische Behandlung nach KVT-I sollte aus Psychoedukation, Methoden der Schlaf-Wach-Strukturierung, kognitiven Techniken zur Reduktion nächtlichen Grübelns und Veränderung dysfunktionaler Überzeugungen sowie Entspannungsmethoden bestehen.1 

Psychoedukation

Patientinnen und Patienten sollten innerhalb der KVT-I über den normalen Schlaf und altersbezogene Veränderungen von Schlafmustern aufgeklärt werden.4 Dadurch erlangen Betroffene ein besseres Verständnis für ihre eigenen Schlafgewohnheiten und -muster. Die Psychoedukation zu Schlaf und Schlafstörungen legt zudem die Grundlage dafür, verständlich zu erklären, warum verschiedene verhaltenstherapeutische Ansätze, wie beispielsweise die Methoden zur Schlaf-Wach-Strukturierung wirksam sein können. Zudem hat sich die Vermittlung von schlafhygienischen Maßnahmen bewährt, um das Schlafverhalten zu verbessern.1 

Schlaf-Wach-Strukturierung

Zur Schlaf-Wach-Strukturierung stehen Stimuluskontrolle oder Bettzeitrestriktion als wirksame Methoden zur Verfügung. Bei der Stimuluskontrolle wird davon ausgegangen, dass bei Betroffenen mit anhaltender Insomnie die Schlafumgebung mit Wachheit verbunden wird. Das liegt daran, dass Betroffene im Bett oft Wachliegen, Grübeln, Arbeiten oder Fernsehen. Ziel ist es, die Schlafumgebung wieder mit Entspannung und Schlaf in Verbindung zu bringen. Das heißt, dass das Bett eben nur noch zum Schlafen genutzt wird. 

Die Grundidee der Bettzeitrestriktion sieht vor, durch eine Verkürzung der nächtlichen Zeit im Bett und Verzicht auf Schlafen im Tagesverlauf den Schlafdruck zu erhöhen. Dadurch können das Ein- und Durchschlafen verbessert werden. Da die Schlafrestriktionstherapie vorübergehend mit erhöhter Müdigkeit und Schläfrigkeit im Tagesverlauf verbunden sein kann, sollten in der initialen Phase keine potenziell gefährlichen Tätigkeiten (z. B. Autofahren) nachgegangen werden.1 

Kognitive Interventionen 

Betroffene mit Insomnien leiden häufig unter nächtlichem Grübeln und dysfunktionalen Überzeugungen, die sich auf den Schlaf beziehen. Kognitive Interventionen im Rahmen der KVT-I sollten dabei unterstützen, diese Überzeugungen zu verändern und Grübelschleifen zu durchbrechen. Dazu gehört es, kognitive Teufelskreise und sich selbst erfüllende Prophezeiungen erkennen zu lernen. Des Weiteren sollen Patientinnen und Patienten lernen, dysfunktionale Gedankenkreisläufe zu verändern, neue hilfreiche Gedanken zu finden und so besser in den Schlaf zu finden.1 

Entspannungsmethoden 

Um das abendliche Einschlafen zu fördern, werden Betroffenen im Zuge der kognitiven Verhaltenstherapie für Insomnie Entspannungsmethoden an die Hand gegeben. Dazu gehören körperliche Entspannungsmethoden wie die progressive Muskelrelaxation (PMR) , aber auch gedankliche Entspannung beispielsweise mittels Fantasiereisen, Achtsamkeitstechniken oder Ruhebildern.1 

Pharmakologische Therapie bei Insomnie

Zur Behandlung der chronischen Insomnie wird der Einsatz von pharmakologischen Mitteln nur im Ausnahmefall z. B. bei nicht hinreichender Effektivität der psychotherapeutischen Behandlung empfohlen. Zur Kurzzeittherapie einer akuten Insomnie können Pharmazeutika ebenfalls eingesetzt werden. Anzumerken ist jedoch, dass die Insomnie nach Absetzen der Mittel häufig wieder zurückkehrt und eine Langzeittherapie nicht empfohlen wird. 

Zur Behandlung der Insomnie stehen verschiedene pharmakologische Mittel zur Verfügung.1 

Benzodiazepine 

Die beste Wirksamkeit zeigen die Benzodiazepine und Z-Substanzen. Aufgrund des hohen Risikos einer schnellen Abhängigkeitsentwicklung sind sie jedoch nur für eine Kurzzeitbehandlung von 3 – 4 Wochen zugelassen. Laut Angaben des Suchtreport Deutschland wird von etwa einer Millionen Menschen mit Benzodiazepinabhängigkeit in Deutschland gesprochen.5 Zusätzlich kann je nach Halbwertszeit ein Hangover-Effekt mit Beeinträchtigung der morgendlichen Leistungsfähigkeit, Fahrtüchtigkeit und Arbeitsfähigkeit eintreten.1 Aus diesen Gründen sollte der Einsatz gut kontrolliert und zeitlich begrenzt erfolgen. Auch das Abhängigkeitsrisiko und die daraus resultierende kurze Dauer der Behandlung sollten vorab mit den Betroffenen besprochen werden. 

Daridorexant

Seit Herbst 2022 ist der duale Orexin-Rezeptor-Antagonist (DORA) Daridorexant für die Kurzzeitbehandlung von Betroffenen zugelassen, die die Kriterien einer chronischen Schlafstörung erfüllen. Vorteilhaft zeigt sich in klinischen Studien das geringere Nebenwirkungsprofil im Vergleich zu Benzodiazepinen. Wie sich der Nutzen in der Praxis darstellt, bleibt noch abzuwarten. Aktuell (Stand: 03/23) läuft noch das Nutzenbewertungsverfahren des Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bezüglich eines Zusatznutzen von Daridorexant gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie – der kognitiven Verhaltenstherapie für Insomnie.7

Sedierende Antidepressiva

Diese pharmakologischen Mittel kommen häufig bei Betroffenen mit Depressionen und komorbiden Schlafstörungen zum Einsatz. Dabei ist die Kurzzeitbehandlung durchaus effektiv. Für die Langzeitbehandlung kann derzeit aufgrund fehlender Datenlage keine Empfehlung ausgesprochen werden. Von den Antidepressiva ist Doxepin als einziges Mittel auch für eine Insomnie ohne Depression zugelassen. Die klinische Praxis zeigt jedoch, dass auch andere Substanzen häufig für Insomnien ohne komorbide Depression eingesetzt werden („off-label”).1

Antipsychotika

Melperon und Pipamperon sind Antipsychotika, die auch für die Insomnie vor allem bei geriatrischen Patienten und Patientinnen zugelassen sind. In Anbetracht der unzureichenden Datenlage im Bezug auf isolierte Schlafstörungen sollten andere Antipsychotika wie Quetiapin, Clozapin oder Olanzapin nur bei Insomnien mit begleitender psychotischer Erkrankung zum Einsatz kommen. 

Weitere pharmakologische Mittel mit nur mäßiger bis sehr geringer Wirksamkeit bilden Antihistaminika (wie z. B. Promethazin), Phytotherapeutika und Melatonin.1 

Online-Therapiemöglichkeiten und KVT-I

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie in der Behandlung chronischer Schlafstörungen die Therapiemethode erster Wahl ist. Eine Gleichwertigkeit zur medikamentösen Therapie besteht nur bei kurzzeitiger Insomnie, wobei die psychotherapeutische Behandlung nicht nur akut, sondern auch langfristig wirksam ist und deshalb auch dort als „first-line-treatment” angesehen werden sollte.1 

Besonders erwähnenswert sind neuere Ergebnisse von Studien zur internetbasierten KVT-I, welche diese als ebenso wirksam ansehen.1 In einer großen Untersuchung konnte zudem gezeigt werden, dass internetbasierte KVT-I neben der Verbesserung insomnischer Beschwerden auch zur Reduktion depressiver Symptome beiträgt.8 Als Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) zertifizierte Online-Therapieprogramme können helfen, Versorgungslücken zu schließen und als hilfreiche Behandlungsoption zur Soforthilfe zum Einsatz kommen. War die KVT-I als Therapie der ersten Wahl lange Zeit aufgrund der nicht ausreichenden Anzahl an Therapieplätzen für zahlreiche Betroffene nicht verfügbar, so kann mithilfe von DiGA ab sofort flächendeckend Betroffenen eine solche Therapieoption angeboten werden.

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HelloBetter Schlafen

HelloBetter Schlafen ist eine DiGA, die alle beschriebenen Bausteine der KVT-I in leicht verständlicher und umsetzbarer Form enthält. Zudem ermöglicht ein digitales Schlaftagebuch das Aufzeigen von Zusammenhängen und alle Teilnehmenden werden von persönlichen Psychologinnen und Psychologen begleitet. In einer randomisiert kontrollierten Studie von Thiart et al. (2015) konnte das Therapiekonzept bereits evaluiert und eine deutliche Verringerung insomnischer Beschwerden bei den Teilnehmenden nachgewiesen werden.6 So können Ihre Patientinnen und Patienten innerhalb von 12 Wochen ihre Schlafbeschwerden verbessern und ihr Selbstwirksamkeitserleben steigern. HelloBetter Schlafen ist zugelassen für die nichtorganische (ICD-10: F51.0), wie auch die organische Insomnie (ICD-10: G47.0).

Weitere Informationen zur DiGA HelloBetter Schlafen und anderen interessanten Themen wie der DiGA-Beratung oder DiGA-Zertifizierung finden Sie auch in unserem Leitfaden zu Digitalen Gesundheitsanwendungen und unserem Fachblog

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  • Quellennachweis
    1. S3-Leitlinie – Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen Kapitel „Insomnie bei Erwachsenen“. Somnologie 2017, 21:2–44. doi: 10.1007/s11818-016-0097-x
    2. Gahr, M. (2017). Diagnostik und Therapie von Schlafstörungen beim Hausarzt. MMW – Fortschritte Der Medizin, 159(14), 32–36. doi:10.1007/s15006-017-9946-1
    3. International Classification of Diseases 11 (ICD-11), Version 02/2022. Abgerufen von: https://icd.who.int/browse11/l-m/en#/http://id.who.int/icd/entity/323148092  
    4. Riemann, D., Baglioni, C., Bassetti, C., Bjorvatn, B., Dolenc Groselj, L., Ellis, J. G., … Spiegelhalder, K. (2017). European guideline for the diagnosis and treatment of insomnia. Journal of Sleep Research, 26(6), 675–700. doi:10.1111/jsr.12594 
    5. Kraus L, Pabst A (2010) Epidemiologischer Suchtsurvey. Repräsentativerhebung zum Gebrauch und Missbrauch psychoaktiver Substanzen bei Erwachsenen in Deutschland. Sucht56:309–384
    6. Thiart, H., Lehr, D., Ebert, D. D., Berking, M., & Riper, H. (2015). Log in and breathe out: internet-based recovery training for sleepless employees with work-related strain–results of a randomized controlled trial. Scandinavian Journal of Work, Environment & Health, 41(2), 164–174. https://doi.org/10.5271/sjweh.3478;
    7. Nutzenbewertungsverfahren des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Abgerufen von: https://www.g-ba.de/bewertungsverfahren/nutzenbewertung/900/#nutzenbewertung 
    8. Christensen, H.; Batterham, P. J.; Gosling, J. A.; Ritterband, L. M.; Griffiths, K. M.; Thorndike, F. P.; Glozier, N.; O’Dea, B.; Hickie, I. B.; Mackinnon, A. J. (2016). Effectiveness of an online insomnia program (SHUTi) for prevention of depressive episodes (the GoodNight Study): a randomised controlled trial. The Lancet Psychiatry, (), S2215036615005362–. doi:10.1016/S2215-0366(15)00536-2
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