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Expositionstherapie: die Konfrontation mit der Angst

Sich der eigenen Angst zu stellen, kann unmöglich erscheinen. Aber der Weg durch die Angst gehört zu den wirksamsten Strategien, um Ängste zu überwinden. Dieses Vorgehen bezeichnet man in der Psychologie auch als Exposition oder Konfrontation. Was bei der Expositionstherapie wirklich geschieht, was eine Angsthierarchie ist und was eine Baustelle mit Konfrontation zu tun hat, erfährst du in diesem Artikel.

Was ist mit dem Begriff Expositionstherapie gemeint?

Die Expositionstherapie gehört zu den klassischen Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie. Sie wird auch Konfrontationstherapie genannt und kommt oft in der Behandlung von Ängsten zum Einsatz. In dieser Methode lernst du, dich dem, was dir Angst macht, Schritt für Schritt zu stellen. Das erfordert viel Mut und kann am Anfang sogar fast unmöglich erscheinen.  

Dabei ist jedoch das Gute: Eine Expositionstherapie machst du nicht alleine, sondern sie ist Teil einer Psychotherapie. Das bedeutet, dass du die Konfrontationstherapie gemeinsam mit deiner Therapeutin vorbereitest und durchführst. 

Therapieablauf: Aufstellen einer Angsthierarchie

Am Anfang einer Expositionstherapie stellst du gemeinsam mit deinem Psychotherapeuten oder deiner Psychotherapeutin eine sogenannte „Angsthierarchie“ auf. Das bedeutet, dass du überlegst, welche Situationen in dir Angst auslösen. Denn die meisten Menschen erleben nicht nur in einer, sondern in mehreren Situationen Ängste. 

So kann zum Beispiel für Menschen, die sich vor Menschenmengen fürchten, sowohl ein Besuch im Einkaufszentrum als auch eine Fahrt in einer überfüllten U-Bahn Angst auslösen. Zu Beginn schreibst du also alle angstauslösenden Situationen auf. Dann bewertest du sie auf einer Skala von 0 – 10 (0 = gar keine Angst; 10 = sehr große Angst).

Beispiel einer Angsthierarchie

So könnte eine Angsthierarchie bei Angst vor Menschenansammlungen (Agoraphobie) aussehen: 

2 – in die längste Schlange am Supermarkt stellen
4 – zur S-Bahn laufen und auf dem Bahnsteig stehen
5 – über eine längere Brücke laufen und herabsehen
7 – Fahrstuhlfahren
9 – am Wochenende ins Einkaufszentrum gehen
10 – U-Bahn fahren

Nachdem du eine Angsthierarchie erstellt hast, ist natürlich die Frage, mit welcher Schwierigkeitsstufe eine Konfrontationstherapie beginnen sollte. Am häufigsten wird dabei mit einer mittleren Schwierigkeit begonnen und dann schrittweise das Level erhöht.

In der Expositionstherapie wird solch ein abgestuftes Vorgehen, bei dem mit einer leichten oder mittelschweren Schwierigkeit begonnen wird, auch „graduelle Exposition” genannt. Wenn direkt mit der höchsten Schwierigkeit begonnen wird, wird hingegen von „Flooding” gesprochen, was auf Deutsch soviel wie „(Reiz-)Überflutung” bedeutet.

Aus der Praxis wissen wir, dass es vielen Menschen einfacher fällt, nicht mit der schwierigsten Aufgabe anzufangen. Sich einer mittelschweren Aufgabe zu stellen, ist schon ein großer Schritt. 

Wieso funktioniert eine Expositionstherapie?

Viele Menschen, denen im Rahmen einer Psychotherapie eine Exposition vorgeschlagen wird, reagieren zunächst mit Ablehnung: Warum sollte ich mich meinen größten Ängsten stellen? Ich will doch nicht, dass sie noch größer werden, ich will, dass sie weggehen! 

Diese Haltung ist verständlich. Schließlich leuchtet es ein, uns von etwas, das uns Angst macht, fernzuhalten und uns nicht absichtlich darauf zuzubewegen. Und seien wir mal ehrlich – schon der Gedanke daran, sich der Angst zu stellen, kann in dem Moment Ängste auslösen und zu körperlichen Reaktionen führen.

Viele Menschen erwarten, dass die Angst ins Unermessliche steigt, sie vielleicht sogar verrückt werden, sterben oder Schaden nehmen können, wenn sie sich in angstauslösende Situationen begeben. Tatsächlich stimmt es, dass die Angst erst einmal ansteigt, wenn wir ihr begegnen. Allerdings nimmt sie entgegen unseren Erwartungen auch wieder ab, wenn wir nur lange genug in der Situation verweilen. 

Wichtig ist dabei natürlich, dass von der Situation keine echte Gefahr ausgeht. Genau das ist bei vielen Ängsten der Fall. Oft wird eine eigentlich ungefährliche Situation (wie etwa Fahrstuhlfahren) oder eine ungefährliche Körperreaktion (wie etwa ein erhöhter Herzschlag) von Menschen, die an einer Angsterkrankung leiden, als gefährlich bewertet und Angst entsteht.

Es ist also völlig normal, wenn in der angstbesetzten Situation zunächst auch Angst aufkommt. Das ist sogar wichtig, denn nur so kann sie auch von selbst wieder sinken, wenn du dich lange genug der Situation stellst. Und aus der Praxis wissen wir: Es funktioniert. Die Expositionstherapie ist bei Angststörungen eine der effektivsten Methoden, die es in der psychotherapeutischen Praxis gibt. 

Der Sinn der Angst

Angst ist eigentlich dazu da, dir zu helfen: Sie soll dir zeigen, wenn etwas, das dir sehr wichtig ist, in Gefahr ist. So kannst du schnell reagieren und das Problem lösen. Wenn die Angst aber Alarm schlägt, obwohl keine oder nur eine geringe Gefahr besteht, kann sie dich mehr einschränken, als dass sie dir hilft.

In vielen Fällen ist es so, dass uns die Angst einmal einen wichtigen Dienst geleistet hat. Vielleicht wurden wir zum Beispiel in der Schule gemobbt und es war daher sehr wichtig für uns, darauf zu achten, dass wir uns nicht „falsch” verhalten. Die Angst erinnerte uns daran, unser Verhalten immer wieder zu beobachten und gegebenenfalls zu korrigieren. Als Erwachsene sind wir aber aus dieser belastenden Situation hinausgewachsen. Wir dürfen verstehen, dass das Mobbing viel mehr über unsere Mitschüler:innen aussagt als über uns selbst. Um erkennen zu können, dass die Angst heute unbegründet ist und uns mehr schadet, als dass sie uns hilft, müssen wir uns dieser Angst stellen. Indem wir aufhören, uns ständig zu kontrollieren und uns erlauben, auch einmal „Fehler” zu machen, können wir vielleicht erkennen, dass wir auch so gemocht werden. 

Die Exposition gut planen 

Sobald du mit deiner Therapeutin festgelegt hast, welcher Situation du dich zu Beginn stellen möchtest, geht es darum, einen Plan zu erstellen. Denn für eine gelungene Exposition braucht es eine gute Vorbereitung. Wann soll die Exposition stattfinden und wo? Wie genau möchtest du dich deiner Angst in der Exposition stellen? Bei den ersten Konfrontationsübungen ist es ratsam, diese mit deinem Psychotherapeuten an deiner Seite durchzuführen. Später kann es auch möglich und sinnvoll sein, dich bestimmten Situationen alleine zu stellen. 

Vor der Expositionstherapie überlegt ihr auch gemeinsam, mit welchen Methoden du dich normalerweise während der Situation von der Angst ablenkst oder beruhigst. Denn genau das solltest du bei einer Konfrontationstherapie vermeiden. Auch wenn Ablenkung oder Beruhigung zunächst gut klingt: 

Der Sinn der Exposition ist es, dass du dich deiner Angst so lange stellst, bis sie von alleine sinkt.

Wenn du dich ablenkst oder bestimmte Beruhiger einsetzt, bevor die Angst von selbst wieder gesunken ist, kann das dazu führen, dass die Angst zwar kurzfristig nachlässt, aber langfristig bleibt. Denn dein Gehirn registriert, dass du dich abgelenkt oder Beruhiger benutzt hast, um mit der Angst klarzukommen. Das führt dazu, dass du weiterhin davon ausgehst, dass die Situation gefährlich ist und im besten Fall vermieden werden sollte. 

Mögliche Ablenkungs- und Beruhigungsstrategien könnten sein:

  • sich ablenken durch Musikhören, Smartphone, Zeitschrift oder Buch lesen
  • andere Menschen in ein Gespräch verwickelt
  • sich vorstellen, woanders zu sein
  • Mitnehmen von Beruhigern wie zum Beispiel Wasserflasche, Notfallnummern oder Energieriegel
  • in der Nähe eines Ausgangs, einer Toilette oder medizinischer Hilfe aufhalten

Durch die Expositionstherapie lernst du jedoch, dass du die Angst aushalten kannst und sie von selbst abklingt, wenn du lange genug in der Situation bleibst. Du kannst dann auch bemerken, dass deine schlimmsten Befürchtungen nicht wahr werden und die Situation weniger gefährlich ist, als du zunächst angenommen hast.

Dran bleiben

In den meisten Fällen braucht es wiederholte Expositionen, damit die Angst kleiner werden kann. Das erscheint auch nur logisch, wenn man sich vor Augen führt, wie lange die Angst wahrscheinlich schon besteht. Das kannst du dir so vorstellen: Wenn du über Jahre jeden Tag den gleichen Weg zur Arbeit nimmst, dieser jedoch eines Tages durch eine Baustelle gesperrt ist, dann dauert es wahrscheinlich einige Male, bis du dich völlig an den neuen Weg gewöhnt hast. Vielleicht fährst du zu Beginn noch ein paar Mal den alten Weg entlang und erinnerst dich erst beim Anblick der Baustelle daran, dass dieser derzeit nicht befahrbar ist. Nach einer Weile wird der neue Weg jedoch zu deinem gewohnten Weg und du fährst ihn wie automatisch ab. 

Genauso ist es auch mit der Angst. Du musst dich zunächst daran gewöhnen, Situationen, die dir Angst machen, nicht mehr automatisch zu vermeiden. So kannst du die Situationen meistern und erleben, dass die Angst langsam nachlässt. Es lohnt sich also, dran zu bleiben. Mit der Zeit kannst du die Schwierigkeitsstufe der Expositionsübungen dann erhöhen und dadurch Schritt für Schritt alle Situationen aus deiner Angsthierarchie meistern.  

Wann ist eine Expositionstherapie sinnvoll?

Eine Expositionstherapie kommt bei der Behandlung verschiedener Erkrankungen zum Einsatz, bei denen Ängste und Vermeidungsverhalten eine Rolle spielen und das tägliche Leben belasten. Dazu zählen zum Beispiel soziale Phobien, spezifische Phobien wie die Spinnenphobie, aber auch eine sogenannte generalisierte Angststörung, bei der viele verschiedene Sorgen und Ängste zusammenkommen. Weil auch bei einer Zwangserkrankung oder einer posttraumatischen Belastungsstörung Ängste und Vermeidung eine große Rolle spielen, kann hier ebenfalls eine Konfrontationstherapie hilfreich sein. Außerdem hat sich die Expositionstherapie bei Panikattacken als sehr wirksam herausgestellt. 

Wichtig ist jedoch: Exposition ist in der Regel nur ein Bestandteil der Therapie. Sie wird gut vorbereitet und nicht in den ersten Therapiestunden durchgeführt. 

Neben der Konfrontationstherapie wirst du in einer kognitiven Verhaltenstherapie auch viel darüber lernen, wie die Ängste entstanden sind. Du übst vielleicht ein Entspannungsverfahren oder lernst einen neuen Umgang mit negativen Gedanken, unangenehmen Gefühlen oder begleitenden Panikattacken kennen. Wie der Ablauf einer Psychotherapie aussieht und wie du einen Psychotherapieplatz findest, erfährst du auf unserem Blog.  

Wann ist eine Expositionstherapie nicht sinnvoll?

Für die meisten Menschen kann eine Expositionstherapie ohne Bedenken durchgeführt werden. Denn auch wenn sich die Angstsymptome wie Herzrasen, Schwindel oder Zittern oft sehr gefährlich für den Körper anfühlen, sind sie das in aller Regel nicht. Bei ein paar körperlichen und psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel  Epilepsie, Schizophrenie oder einer bipolaren Erkrankung kann eine Expositionstherapie jedoch nicht geeignet sein. Das klärst du aber im Zuge deiner Psychotherapie immer noch einmal vorab ärztlich und psychotherapeutisch ab.

Wirksame digitale Expositionstherapie

Eine Konfrontationstherapie wird mittlerweile nicht nur in klassischen Therapiesitzungen durchgeführt, sondern sie ist auch Bestandteil von Online-Therapieprogrammen. Das Programm HelloBetter Panik kann zum Beispiel wirksam Panikattacken reduzieren und setzt dabei klassische Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie ein.

Genau wie in einer Vor-Ort-Psychotherapie wird im Online-Therapiekurs die Konfrontation mithilfe von Texten und Videos gut vorbereitet und eine Angsthierarchie erstellt. Danach wirst du angeleitet, dich deinen Ängsten schrittweise in sogenannten „Mutprojekten” zu stellen. Neben der Konfrontationstherapie lernst du in dem Kurs auch, deine Gedanken näher zu betrachten und neue hilfreiche Gedanken zu finden. Und das Beste? Der Online-Therapiekurs HelloBetter Panik wird von deiner gesetzlichen Krankenkasse bezahlt. Alles was du dafür benötigst, ist ein Rezept von einer Ärztin oder einem Psychotherapeuten. Schau dafür am besten direkt einmal auf unserer Kursseite vorbei.

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  • Quellennachweis
    1. Hagena, S. & Gebauer, M. (2014). Therapie-Tools Angststörungen. Beltz (Verlag).
    2. Domschke, K. & Hoyer, J. (2023). Voderholzer, U. (Hrsg.), Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier.
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