Woher kommt der hohe Stress in Familien?
Viele Eltern kennen das Gefühl, dass der Tag einfach zu wenig Stunden hat. Die To-dos stapeln sich und der Mental Load, also die Belastung durch gedankliches Planen und Organisieren, ist konstant hoch. Doch nicht nur die täglichen Aufgaben führen zu einem hohen Stresslevel – auch andere Faktoren können dazu führen, dass der Stress in der Familie nicht abnimmt.
1Unterschiedliche Erziehungsvorstellungen als Stressfaktor
Nicht nur unterschiedliche Erziehungsvorstellungen, sondern auch Unterschiede in der Umsetzung können zu einer zusätzlichen Belastung werden. So kommt es beispielsweise häufig vor, dass ein Elternteil etwas nachgiebiger ist und die Regeln nicht immer so ernst nimmt, während der andere Elternteil sehr konsequent ist. Gerade in stressigen Lebensphasen kann das zum zusätzlichen Stressfaktor werden – denn dann haben Elternteile meist nicht genügend Zeit und Kraft, sich in Ruhe abzusprechen und es kommt zu Streit in der Beziehung.
2Familienstress durch den Vergleich mit anderen Eltern
Kennst du das? Bei anderen Eltern scheint alles irgendwie leichter und einfacher zu sein. Ob man will oder nicht, der Vergleich mit anderen Familien geschieht meist ganz automatisch. Und genau dieser Vergleich kann dazu führen, dass man mit der eigenen Situation unzufrieden ist – entweder müsste die Wohnung aufgeräumter sein, das Kind mehr Hobbys haben oder man selbst nebenbei noch spannende Projekte verfolgen.
3Stress durch besondere Umstände in Familien
Viele Familien kämpfen nicht nur mit den alltäglichen Aufgaben, sondern sind zusätzlich durch besondere Umstände belastet. Einerseits können das Umstände des Kindes sein – beispielsweise Erkrankungen wie die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Trennungsängste oder Schwierigkeiten in der Schule. Andererseits kann es bei den Eltern erschwerende Umstände geben, wie etwa Alleinerziehung, finanzielle Schwierigkeiten oder eigene Erkrankungen.
Wie kann man Familienstress reduzieren?
Um das Familienleben harmonischer zu gestalten und das Stresslevel zu senken, gibt es einige Stellen, an denen du ansetzen kannst. Wir haben dir 4 Möglichkeiten als Tipps zusammengefasst und geben dir auch konkrete Übungen an die Hand:
1Reflektiere deine Erwartungen
Die meisten Eltern erleben eine Vielzahl von Erwartungen, die an sie herangetragen werden. Sich diese Erwartungen bewusst zu machen und zu prüfen, welche man erfüllen möchte und welche nicht, ist ein wichtiger Schritt, um Stress in der Familie abzubauen. Die folgende Übung kann dabei helfen:
Übung
Erwartungen aufräumen
Frage dich als Erstes: Welche Erwartungen werden an mich als Mutter bzw. als Vater herangetragen – ausgesprochen und unausgesprochen? Welche Erwartungen habe ich an mich selbst? Bin ich zum Beispiel jemand, der es allen recht machen will? Stelle ich die gleichen Erwartungen an mich wie an andere Eltern? Bei diesen Fragen wirst du vermutlich feststellen, dass sich manche Erwartungen widersprechen und es unmöglich ist, allen Erwartungen gerecht zu werden. Das geht allen Eltern so und ist ganz normal. Frage dich in einem zweiten Schritt, welche dieser Erwartungen mit deinen Zielen und Vorstellungen übereinstimmen. Von allen Erwartungen, die damit nicht übereinstimmen oder die deinen Zielen und inneren Werten widersprechen, darfst du dich verabschieden!
2Verbessere die Kommunikation in der Familie
Wer gestresst ist, fühlt sich häufig auch gereizt und gerät leichter in Streit. In Familien kommt es daher häufig zu gegenseitigen Vorwürfen und einem raueren Umgangston – was wiederum zu mehr Stress führt. Eine Möglichkeit, den Stress zu reduzieren, besteht darin, die Kommunikation in der Familie zu verbessern. Die folgende Übung kann euch dabei helfen, Konflikte gemeinsam zu lösen, über eure Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen und das Zusammenleben zu verbessern:
Übung
Die Familienkonferenz
Tritt in eurer Familie ein Problem oder Streit auf, könnt ihr diese Übung anwenden. Dafür setzt ihr euch gemeinsam an einen Tisch. Wenn bei euch gegenseitiges Unterbrechen ein Problem ist, könnt ihr euch einen Gegenstand aussuchen, den die sprechende Person bei sich hat. Nur wer diesen Gegenstand hat, darf reden.
- Schritt: Im ersten Schritt geht es darum, dass jeder seinen Standpunkt auf das Problem oder den Konflikt schildern darf. Wichtig ist hierbei, dass dieser Schritt ohne jede Bewertung und Kommentar stattfindet. Ihr hört euch einfach gegenseitig zu.
- Schritt: Im nächsten Schritt werden die eigenen Gefühle kommuniziert. Dieser Schritt ist sehr wichtig, denn je besser alle Familienmitglieder ihre Gefühle kommunizieren können, desto einfacher werden auch die Kommunikation und das gegenseitige Verständnis. Jedes Familienmitglied sagt, wie es sich in der Konflikt- oder Problemsituation gefühlt hat. Da es insbesondere für Kinder herausfordernd sein kann, Gefühle zu benennen, können Gefühlskarten oder Gefühlssterne helfen. Dann kann einfach auf das Gefühl gezeigt werden und die Eltern können dabei helfen, das Gefühl zu benennen. Auch in diesem Schritt ist es ganz wichtig, dass das Gesagte nicht bewertet wird! Gefühlswahrnehmungen sind individuell. Gefühle können nicht wegargumentiert oder verdrängt werden – sie sind einfach da.
- Schritt: Im nächsten Schritt können alle zusammen überlegen, wie man das Problem lösen kann – auch das ganz ohne Bewertung. Jede Idee wird erst mal aufgenommen. Hier ist der Kreativität keine Grenzen gesetzt und man kann so viele Ideen sammeln, wie man möchte. Es kann helfen, wenn man vorher kleine Steine oder ähnliches verteilt und jeder Stein eine Idee repräsentiert. Dabei sollte jeder sowohl Ideen einbringen, wie man selbst etwas zur Lösung beitragen kann und auch wie andere dazu beitragen können – alle Perspektiven sollten berücksichtigt werden.
- Schritt: Nun geht es darum, eine Lösung bzw. einen Kompromiss zu finden. Dabei können die verschiedenen Vor- und Nachteile der Lösungsmöglichkeiten diskutiert werden und schließlich wird die passende Lösung ausgewählt. Um die Verbindlichkeit zu erhöhen, kann diese Lösung auf einen Zettel geschrieben werden, den alle unterschreiben. Dann braucht ihr noch einen gut sichtbaren Ort für den Zettel und die Umsetzung kann beginnen!
- Schritt: Es lohnt sich, sich regelmäßig als Familie zusammenzusetzen und zu prüfen, wie gut die Lösung geklappt hat. Auch hier können eigene Gefühle und Erfahrungen berichtet werden. Vielleicht wollt ihr auch überlegen, was euer Wunschgefühl wäre und wie ihr das noch besser erreichen könnt?
3Stärke die Beziehung zu deinem Kind
Ein hohes Maß an Stress in Familien führt häufig dazu, dass sich alles nur noch darum dreht, was schlecht läuft und wo Probleme lauern. Die Folge sind Frustration und schlechte Laune auf beiden Seiten. Lob und schöne Momente werden immer weniger. Die folgende Übung kann euch helfen, den ersten Schritt aus dem Teufelskreis zu schaffen, eure Beziehung zu stärken und die Stressbelastung zu senken:
Übung
Detektiv für positive Veränderung
Für diese Übung benötigst du einen unabhängigen erwachsenen Schiedsrichter, der dich bzw. euch und das Kind bei der Übung begleitet. Und so gehts: Dein Kind überlegt sich eine Sache, die es innerhalb der nächsten Woche verändern möchte. Dabei ist es wichtig, dass es sich um eine positive Veränderung handeln muss. Das Kind bespricht diese Veränderung mit dem Schiedsrichter, der darauf achtet, dass es eine umsetzbare Veränderung ist. In der folgenden Woche musst du bzw. ihr nun auf einem Zettel jeden Tag festhalten, wenn etwas Positives aufgefallen ist oder man denkt, dass es sich bei einem Verhalten um die positive Veränderung handelt. Nach einer Woche kommt dann die Auswertung: Die Eltern oder der Elternteil lesen dem Kind alles vor, was sie gefunden haben und versuchen, die Veränderung zu erraten. Nach der Auflösung kann die Übung dann umgedreht werden: Du bzw. ihr überlegt euch eine positive Veränderung als Eltern und das Kind muss eine Woche lang darauf achten, welche es sein könnte.
Diese Übung hat häufig den Nebeneffekt, dass sich die Beziehung von Eltern zu ihrem Kind verbessert und sich der Blick für positive Stärken oder Momente schärft. Wir erfinden sie nicht, sie kommen auch nicht irgendwie dazu – sie waren immer schon da. Wir lernen nur, sie zu sehen, zu schätzen und zu nutzen. Um diesen wertschätzenden Blick auch weiterhin beizubehalten, könntet ihr auch gemeinsam ein Glücksglas basteln und aufstellen. Dort können schöne gemeinsame Momente, Erinnerungen, Lob und Bilder rein wandern, die ihr sammelt.
4Hol dir Unterstützung
Wenn dir der Stress in der Familie über den Kopf wächst, ist es wichtig zu wissen, dass du das nicht alleine schaffen musst! Es gibt verschiedene Unterstützungsangebote, die du in Anspruch nehmen kannst. Sollte dein Kind beispielsweise psychisch belastet sein oder schulische Probleme haben, kann sich ein Beratungstermin bei einer Erziehungsberatungsstelle oder einer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin lohnen. Dort könnt ihr gemeinsam die nächsten Schritte besprechen. Auch als belasteter Elternteil kann man Unterstützung erhalten – zum Beispiel durch eine Erziehungs- oder Familienberatung, ebenso wie durch eine Psychotherapie.
Gut zu wissen: Nicht nur im klassischen Angestelltenverhältnis kann man ein Burnout entwickeln. Auch bei sogenannter Care-Arbeit, also bei Tätigkeiten der Kinderbetreuung, des Pflegens oder Sich-Kümmerns, erleben zum Beispiel einige Mütter Burnout. Oft wird aber gerade das Zusammenspiel von privaten und arbeitsbezogenen Stressfaktoren als belastend bewertet.
Möchtest du flexibel von zu Hause aus eine wirksame Selbsthilfe bei Stress und Burnout starten? Dann ist unser Online-Therapiekurs HelloBetter Stress und Burnout vielleicht genau das Richtige für dich. Im Therapiekurs lernst du verschiedene Strategien kennen, wie du mit lösbaren und unlösbaren Problemen umgehen kannst und wieder mehr kraftgebende Aktivitäten in deinen Alltag bringen kannst. Das Beste daran: Der Therapiekurs ist für dich 100% kostenfrei und wird psychologisch begleitet. Du erhältst also nach jeder absolvierten Einheit ein schriftliches Feedback von deiner persönlichen Psychologin aus unserem Team.
Warum Selbstfürsorge so wichtig ist
Fällt es dir schwer, dich und dein Wohlbefinden an erste Stelle zu setzen? Dann hilft es dir vielleicht, an die Durchsagen im Flugzeug zu denken:
„Im Notfall sollten Eltern sich zuerst die Sauerstoffmaske aufziehen, bevor sie ihren Kindern helfen.“
Und genau das gilt auch überall sonst: Erst wenn man selbst bei Kräften ist, kann man auch anderen helfen. Selbstfürsorge und die eigene Gesundheit sind also essentiell, wenn es darum geht, insgesamt weniger Stress in der Familie zu erleben.
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Quellennachweis
- Caby, F. & Caby, A. (2017). Die kleine psychotherapeutische Schatzkiste – Teil 1: Tipps und Tricks für kleine und große Probleme im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter.
- Rietzler S. (2023, 25. April). Kann ich es hier eigentlich niemandem recht machen? Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi.
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