Was sind die Anzeichen einer hochfunktionalen Angststörung?
Großer Begriff, wenig Forschung – die hochfunktionale Angststörung gilt bis heute nicht als offizielle klinische Diagnose. Daher gibt es auch keine einheitlichen Anzeichen, die als eindeutige Symptome interpretiert werden könnten. Trotzdem gibt es Menschen, die von typischen Beschwerden berichten – also Angst und Panik im Alltag zu erleben, darunter zu leiden und dennoch den Alltag bewältigen zu können. Entsprechend können wir hochfunktionale Angst zwar nicht als Diagnose, wohl aber als psychologisches Phänomen umschreiben.
Die hochfunktionale Angststörung, bzw. „High-functioning-Anxiety” beschreibt Menschen, die rein äußerlich nicht den Anschein machen, unter einer Angstsymptomatik zu leiden. Menschen, die durchaus in der Lage sind, ihren Alltag erfolgreich zu bewältigen, während sie gleichzeitig unsichtbar unter belastenden Angstsymptomen leiden.
Auf körperlicher Ebene können zum Beispiel solche Angstsymptome auftreten:
- Herzrasen
- Atemnot
- Übelkeit
- Zittern
- Schwitzen
- Durchfall
Und auf gedanklicher Ebene:
- Angst vor Kontrollverlust,
- Sorge, einen Herzinfarkt zu erleiden
- oder auch die Angst vor der Angst – also die Angst davor, eine Panikattacke in einem „unpassenden” Moment zu erleben.
Funktionieren und Maskieren – warum hochfunktionale Angst oft den falschen Eindruck erweckt
Im offiziellen Klassifikationssystem für Erkrankungen (dem ICD-10) finden wir in der Kategorie der Angststörungen beispielsweise die soziale Angststörung, die Agoraphobie, die Panikstörung, spezifische Phobien, die generalisierte Angststörung und noch einige mehr. Bei Menschen, die wir dem Phänomen der hochfunktionalen Angststörung zuordnen würden, kann eine dieser Diagnosen erfüllt sein, muss sie aber nicht. Vielmehr kann es sein, dass die Symptome eher in abgeminderter Form auftreten oder vorübergehend sind.
Der Trugschluss dabei: dass diese Menschen „nicht wirklich” belastet seien. Besonders, weil sie von außen vielleicht den Eindruck erwecken, alles im Griff zu haben. Frei nach dem Motto: „Sie hat gerade eine Präsentation gehalten, ihren Sohn von der Schule abgeholt, eingekauft und war joggen – so schlimm kann es doch gar nicht sein!” Doch Menschen mit „High-functioning-Anxiety” leiden oft im Verborgenen und heimlich. Ihre Belastung ist eben unsichtbar; versteckt, hinter einer Performance-Maske und trotzdem ganz real. Betroffene können zum Beispiel klassische Paniksymptome wie eben Herzrasen, Atemnot und Übelkeit erleben. Vielleicht aber auch ein Gedankenkarussell voller Ängste und Sorgen, eine erhöhte Gereiztheit, Schlafstörungen oder Veränderungen des Appetits.
Besonders ist, dass sich Betroffene gegebenenfalls sehr stark selbst unter Druck setzen – eben funktionieren zu müssen. Trotz oder gerade wegen ihrer Beschwerden.
Habe ich eine Panikstörung?
Eine hochfunktionale Angststörung gilt es von offiziellen Diagnosen abzugrenzen. Wenn du beispielsweise die folgenden Diagnosekriterien bei dir erlebst, könnte auch eine Panikstörung vorliegen. Diese gilt es unbedingt professionell abklären zu lassen.
Um die Diagnose einer Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst, F41.0) stellen zu können, werden in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten folgende Kriterien im ICD-10 festgelegt:
- Wiederholte Panikattacken, die nicht auf einen bestimmten Auslöser bezogen sind, oft spontan auftreten und nicht verbunden sind mit besonderer Anstrengung, gefährlichen oder lebensbedrohlichen Situationen.
- Die einzelne Panikattacke hat folgende Merkmale:
- einzelne Episode intensiver Angst, beginnt abrupt, erreicht innerhalb weniger Minuten ein Maximum,
- geht mit mindestens 4 vegetativen, den Oberkörper und Bauch betreffenden, psychischen oder allgemeinen Symptomen einher (z. B. Herzklopfen, Schweißausbrüche, Zittern, Kurzatmigkeit und/oder der Angst zu Sterben).
- Die Panikattacken sind nicht Folge einer körperlichen, organischen oder einer anderen psychischen Erkrankung.
- Beim gleichzeitigen Vorliegen einer Agoraphobie kann eine Agoraphobie mit Panikstörung (F40.01) diagnostiziert werden.
Was sind mögliche Ursachen der hochfunktionalen Angst?
Es liegt nahe: Das Phänomen der hochfunktionalen Angststörung ist auch durch den immensen gesellschaftlichen Leistungsdruck, die Erwartungshaltung, immer performen zu müssen, geprägt. Die allseits bekannte Leistungsgesellschaft, die uns häufig in ein System zwängt, welches wirklich nicht für viele Menschen funktioniert. Stetiger Druck, Optimierungszwang, Karriereleiter – chronischer Stress kann eine mögliche Folge all dieser Faktoren sein und infolgedessen kann es zu einer Vielzahl psychischer Beschwerden oder sogar Erkrankungen kommen.
Dazu kommt häufig eine Sozialisierung, die insbesondere für die Generationen der Babyboomer (Mitte der 1950er- bis Ende der 1960er-Jahre geboren), aber auch noch für die Gen Y (1980-1999 geboren) bedeuten kann, dass psychische Beschwerden kaum thematisiert, geschweige denn im Arbeitskontext angesprochen werden.
» Wir erleben immer wieder, wie sehr sich Menschen unter Druck setzen und wie groß nach wie vor die Sorge ist, offen über psychische Beschwerden zu sprechen. Zwar beobachten wir allmählich einen positiven Wandel hin zu mehr Entstigmatisierung – so ist es beispielsweise inzwischen in vielen Unternehmen möglich, offener über Themen wie Burnout zu sprechen. Doch das gilt längst nicht für alle Betriebe und auch nicht für jede psychische Erkrankung. Gerade bei besonders stigmatisierten Erkrankungen, wie etwa einer Abhängigkeitserkrankung, einer Persönlichkeitsstörung oder Schizophrenie, fällt es Betroffenen oft schwer, sich anzuvertrauen.
Wir bei HelloBetter setzen uns nicht nur für einen kostenfreien Zugang zu psychologischer Unterstützung ein, sondern auch gegen Stigmatisierung – und für mehr Offenheit im Umgang mit psychischen Erkrankungen. «Dr. Alena Rentsch, Psychologische Psychotherapeutin bei HelloBetter
Hochfunktionale Angst als Risikofaktor
Jetzt stellen wir uns einmal vor, wir würden jeden Tag Ängste durchleben, ängstlich leben. Mal stärker, mal schwächer, doch irgendwie ist sie meistens im Gepäck dabei – die Angst. Wir zwingen uns durch den Alltag, setzen die Maske auf und wollen zeigen: „Ich schaffe das alles!” Die Angst auf der Schulter, im Nacken die Glaubenssätze: „Du bist eh nicht gut genug”, „Alle anderen kriegen das doch auch hin” oder „Reiß dich zusammen – keine Schwäche zeigen”.
Vielleicht bekommen wir das alles irgendwie auf die Reihe, wir sind sogar so gut darin, dass kaum jemand Verdacht schöpft, etwas könnte nicht stimmen. Dieser allgegenwärtige Cocktail aus Angst und innerem Druck kann unheimlich belastend sein und für Betroffene von hochfunktionaler Angst zu einem potenziellen Teufelskreis und Risikofaktor werden. Dem möglichen Risiko, schließlich die Diagnosekriterien für eine manifestierte Angststörung zu erfüllen, ins Burnout zu rutschen oder eine Depression zu entwickeln.
Erst Angst, dann Burnout und dann Depression?
Grundsätzlich steckt die Forschung zum Thema „High-functioning-Anxiety" noch in den Kinderschuhen. Allgemein gibt es aber bereits viel Forschung im Bereich der Ängste und Angststörungen – und so zeigen aktuelle Studien interessante Zusammenhänge auf.
Koutsimani und Kolleg:innen (2019) fanden in ihrer Metaanalyse heraus, dass Angst und Burnout enger miteinander verknüpft sind als bisher angenommen. Das ständige „Funktionieren-Müssen" trotz innerer Anspannung führt auf Dauer zu emotionaler Erschöpfung – dem Kernsymptom von Burnout.
Und wie passt eine Depression ins Bild? Jacobson und Newman (2017) belegen, dass Angststörungen oft der Depression vorausgehen – aber auch ein umgekehrter Zusammenhang ist möglich. Bei Menschen mit hochfunktionaler Angst kommt häufig erschwerend hinzu, dass sie ihre Symptome lange verbergen. Wenn die Fassade nicht mehr aufrechterhalten werden kann, kann danach alles umso schwerer wirken. Einmal ausgesprochen fühlen sich die Symptome vielleicht zum ersten Mal richtig real an. Die Fallhöhe war dann einfach tiefer.
Der Perfektionismus – ein häufig vertretenes Merkmal bei Angst – spielt dabei eine entscheidende Rolle. Laut Limburg und Kolleg:innen (2017) hängen perfektionistische Tendenzen sowohl mit Angstsymptomen als auch mit depressiven Verstimmungen zusammen. Das erklärt möglicherweise, warum viele Betroffene zwischen übermäßiger Aktivität und tiefer Erschöpfung pendeln.
Die gute Nachricht: Diese Zusammenhänge bedeuten nicht, dass eine hochfunktionale Angststörung zwangsläufig zu Burnout oder Depression führen muss. Frühzeitige Unterstützung kann diesen Teufelskreis durchbrechen. Also zögere nicht, dir Unterstützung zu suchen – denn die gibt es.
Therapie bei hochfunktionaler Angststörung?
Fühlst du dich angesprochen und fragst dich: Was ist, wenn ich genau das aktuell erlebe, so eine hochfunktionale Angststörung? Therapie bei hochfunktionaler Angst ist in jedem Fall ratsam. Auch, wenn es sich gerade für dich, bei deinem hohen Funktionsniveau, wie eine besonders große Hürde anfühlen mag, nach Hilfe zu fragen – du schaffst das! Du kannst die Angst überwinden.
Es gibt zahlreiche professionelle Unterstützungsangebote wie beispielsweise in Form einer Psychotherapie. Wichtig ist jedoch noch einmal zu unterscheiden, dass es sich bei hochfunktionaler Angst zwar um eine belastende Situation, nicht aber um eine offizielle Diagnose handeln kann – und Therapie ist nur bei einer Angsterkrankung möglich, die mit einer Diagnose festgestellt werden kann. Das kannst du jedoch von einer Fachperson wie etwa einer Psychotherapeutin abklären lassen. Denn nur weil man funktioniert, bedeutet das eben nicht, dass keine Erkrankung vorliegt.
Welche Therapieform ist die wirksamste bei Angst und Panik?
Die Wirksamkeit der Expositionstherapie ist durch zahlreiche randomisiert-kontrollierte Studien und Metaanalysen gut belegt. Sie gilt heute als Goldstandard in der Behandlung von Angststörungen wie der Panikstörung, Agoraphobie, sozialen Angststörung oder spezifischen Phobien (siehe Hofmann & Smits, 2008; Craske et al., 2014; NICE Clinical Guideline, 2011).
Auf Strategien der kognitiven Verhaltenstherapie basieren inzwischen auch die wirksamsten digitalen Behandlungsangebote für zahlreiche psychische Belastungen – wie zum Beispiel die Online-Therapieprogramme von HelloBetter.
Wirksame psychologische Hilfe online
Wenn du Paniksymptome erlebst und dir Unterstützung am liebsten kostenfrei und für zu Hause wünschst, empfehlen wir dir unser Online-Therapieprogramm HelloBetter Panik. Dort erlernst du wirksame Strategien der kognitiven Verhaltenstherapie – ganz flexibel per App auf deinem Smartphone oder Laptop. Deine Krankenkasse übernimmt 100% der Kosten. Ein weiterer Vorteil ist, dass du keine weiteren Termine vereinbaren musst – denn das Programm passt sich ganz einfach dir, deinem Alltag und Tempo an.
Wenn du den Eindruck hast, durch die hochfunktionale Angststörung bereits eine Burnout-Symptomatik zu erleben, kann auch HelloBetter Stress und Burnout gut zu dir und deinen Beschwerden passen. Mit dem Therapieprogramm kannst du deine Stressbewältigung nachhaltig verbessern.
Wichtig ist wirklich: Bei psychischen Beschwerden solltest du nicht zu lange warten. Und auch wenn du gerade super viel leistest und dir die Angst gleichzeitig etwas anderes einredet: Du kannst die Angst bewältigen und du musst da nicht alleine durch.