Was bedeutet sozialer Rückzug in der Psychologie?
Was meinen wir eigentlich damit, wenn wir sagen: „Jemand zieht sich aus dem Sozialleben zurück”?
In der Psychologie verstehen wir unter sozialem Rückzug ein bestimmtes Verhaltensmuster, bei dem ein Mensch seine Kontakte zur Außenwelt verringert und sich verstärkt auf sein eigenes inneres Erleben konzentriert.
Dieses Rückzugsverhalten kann in mehreren sozialen Bereichen, also sowohl im beruflichen als auch im privaten Kontext auftreten.
Wie sieht ein sozialer Rückzug aus?
Ein sozialer Rückzug hat viele Gesichter. Während manche Menschen ganz plötzlich aus dem Leben verschwinden und Kontakte schlagartig abbrechen, ziehen sich andere eher schleichend aus ihrer Außenwelt zurück. Sie erscheinen zum Beispiel zu immer weniger Treffen und sind zunehmend schlechter erreichbar. Rückzugsort der Betroffenen ist dabei meist das vertraute Zuhause.
Warum ziehen wir uns zurück?
Manchmal erleben wir eine besonders stressige Lebensphase – ein Termin jagt den nächsten, wir sind viel unterwegs, stehen mit vielen Menschen in Kontakt und können kaum zur Ruhe kommen. Dann kann das Bedürfnis entstehen, auf die „Pausetaste” zu drücken und wieder zu uns finden. In so einem Fall kann ein sozialer Rückzug auch als ein Teil der Selbstfürsorge verstanden werden. Er hilft uns dabei, unseren Akku wieder aufzuladen und bevorstehende Ereignisse mit neu gewonnener Energie zu meistern.
💡 Gut zu wissen: Gerade für introvertierte Personen oder Menschen mit Hochsensibilität sind soziale Auszeiten häufig wichtig. Denn in vielen Fällen nehmen sie äußere Reize besonders stark wahr und benötigen Zeit alleine, um ihre Energiequelle wieder aufzufüllen.
Auch belastende Lebensereignisse wie eine Kündigung oder die Trauer um einen geliebten Menschen können dazu führen, dass sich Menschen aus dem Sozialleben zurückziehen. In manchen Fällen sind auch Konflikte in der Familie, im Freundeskreis oder Gewalt in der Beziehung Ursachen für einen sozialen Rückzug.
Sozialer Rückzug und psychische Erkrankungen
Was aber, wenn ein Mensch längere Zeit abtaucht – und auch nicht mehr zurück an die Oberfläche kommt? Dann kann sich eine psychische Erkrankung hinter der Flucht vor der Außenwelt verbergen.
Sozialer Rückzug und Depressionen
Der soziale Rückzug ist ein häufiges Symptom einer Depression: Betroffene meiden Begegnungen und verlassen kaum noch ihre Wohnung. Verabredungen fallen schwer und Gespräche rauben Energie. Selbst Aktivitäten, die einst Freude bereitet haben, verlieren für Menschen mit Depressionen meist ihre Bedeutung. Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit und Verzweiflung werden zu ständigen Begleitern. Dabei scheint es oft unmöglich, den früheren Alltag und Freundschaften aufrechtzuerhalten.
Doch gerade bei einer Depression ist es wichtig, dass wir anderen nah bleiben und soziale Kontakte nicht ganz abreißen lassen. Denn ziehen wir uns zunehmend zurück, erhöht das auch die Stressantwort in unserem Gehirn. Woran liegt das? Eines unserer menschlichen Grundbedürfnisse besteht in der Bindung, also der Verbindung zu anderen Menschen. Die Erfüllung dieses Bedürfnisses ist ein wesentlicher Faktor dafür, dass es uns gut geht – und vor allem: dass es auch so bleibt.
Manchmal kann es auch helfen, sich professionelle Unterstützung zu holen, um nach und nach wieder zurück ins Sozialleben zu finden. Das kann über eine klassische Psychotherapie oder einen psychologischen Online-Kurs erfolgen.
Sozialer Rückzug und Burnout
Auch im Rahmen von einem Burnout kann es zum sozialen Rückzug kommen. Denn leiden wir unter chronischem Stress, fühlen wir uns oft vor allem eines: überfordert. Wir haben dann das Gefühl, den Anforderungen in unserem Leben nicht mehr gerecht zu werden, fühlen uns ausgelaugt und distanzieren uns zunehmend von unserer Umwelt – innerlich und äußerlich. Sogar Begegnungen mit den Liebsten sorgen für zusätzlichen Stress und werden schlichtweg „zu viel”.
Sozialer Rückzug und Angststörungen
Neben einer Depression oder einem Burnout können auch Angststörungen, wie zum Beispiel eine soziale Phobie oder eine Agoraphobie die Ursache für eine Isolation sein. Im Zentrum der sozialen Phobie stehen meist massive Selbstzweifel. Betroffene haben vor allem Angst davor, in sozialen Situationen merkwürdig oder peinlich zu wirken und ausgelacht oder sogar gedemütigt zu werden. Um das zu vermeiden, kommt es häufig zum sozialen Rückzug. Bei einer Panikstörung mit Agoraphobie isolieren sich Menschen meist aufgrund der Angst, in der Öffentlichkeit eine Panikattacke zu bekommen und nicht schnell genug Hilfe zu erhalten.
Sozialer Rückzug und andere psychische Erkrankungen
Auch andere psychische Erkrankungen, wie beispielsweise Zwangsstörungen oder Alkoholismus, können dazu führen, dass Betroffene sich zurückziehen. Die Gründe für den Rückzug können dabei ganz unterschiedlich sein und hängen häufig damit zusammen, die Erkrankung verstecken zu wollen.
Zurück ins Leben: Das kannst du tun
Manchmal kann es schwerfallen, nach langer Zeit des sozialen Rückzugs wieder mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Doch gerade jetzt ist es wichtig, anderen nahe zu sein und unsere Gefühle zu teilen. Diese 5 Tipps können dir die Kontaktaufnahme erleichtern:
1Blicke zurück
Manchmal wissen wir gar nicht so recht, an wen wir uns überhaupt wenden sollen. Hier kann es helfen, dich zu fragen: „Wer hat mir früher – also vor meinem sozialen Rückzug – gutgetan? Mit wem habe ich gerne Zeit verbracht?” Vielleicht fallen dir nicht nur bestimmte Menschen, sondern auch konkrete Erlebnisse und Aktivitäten ein, die dir damals viel Freude bereitet haben.
Fällt es dir schwer, Menschen in deinem Leben zu finden, denen du gerne wieder nah sein möchtest? Dann sind deine früheren Hobbys ein guter Anhaltspunkt, um neue Kontakte zu knüpfen. Ob Stricken, Handball oder Schach spielen – Freizeitkurse und Gruppenangebote bieten eine tolle Möglichkeit Personen mit ähnlichen Interessen kennenzulernen.
2Fange klein an
Nach einer wochenlangen Isolation ist ein überfüllter Freizeitpark vielleicht nicht der richtige Ort, um wieder ins soziale Leben zu finden. Daher: Fange klein an. Zum Beispiel könntest du mit der von dir ausgewählten Person telefonieren, bevor du dich dann mit ihr oder ihm an einem ruhigen Ort verabredest. Wie wär’s mit einem Tee in eurem damaligen Lieblingscafé oder einem Spaziergang durch den Park? Vielleicht fühlst du dich bei dieser Vorstellung erst einmal etwas verunsichert. In Vorbereitung auf dein Treffen, kann es daher helfen, den Blick nochmal auf dich selbst zu richten und ein paar Übungen zu machen, um deinen Selbstwert zu stärken.
3Mache konkrete Pläne
Um dein Vorhaben auch wirklich umzusetzen, ist es ratsam, konkret zu planen. Versuche also darauf zu achten, immer einen genauen Tag, eine bestimmte Uhrzeit und einen festen Ort für deine Verabredungen festzulegen.
4Gefühle teilen
Es kann sehr entlastend sein, deine Gefühle mit einer vertrauten Person zu teilen und über die Gründe für deinen Rückzug zu sprechen. Vielleicht fragt dich dein Gegenüber sogar danach. Ein solches Gespräch kann dabei helfen, Belastungen zu reflektieren und Verhaltensmuster besser zu verstehen. Trotzdem gilt: Wenn du nicht möchtest, musst du natürlich auch nicht über deinen Rückzug sprechen. Versuche dir vor deinem Treffen zu überlegen, ob und wie ausführlich du über dieses Thema sprechen möchtest.
5Habe Geduld
Und zu guter Letzt: Habe Geduld mit dir! Unser Verhalten verändert sich genauso wie andere alte Gewohnheiten, nicht von heute auf morgen. Nimm dir also die Zeit, die du brauchst, du bist auf einem wunderbaren Weg!
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