Nervosität bekämpfen: Ist das möglich?
Immer wenn wir gegen Gefühle und Gedanken ankämpfen, besteht folgende Gefahr: Wir fokussieren uns so auf sie, sodass sie sich noch verstärken können. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie frustrierend das sein kann. Manchmal neigen wir deshalb dazu, noch mehr gegen sie anzukämpfen und sind schließlich vollkommen eingenommen von dem Vorhaben, dass etwas nicht da sein darf – was aber nun mal da ist. Stecken wir in diesem Kampf fest, verlieren wir viel Energie und können uns vor allem nicht mehr auf das Angenehme und Schöne konzentrieren.
So verhält es sich auch, wenn wir Nervosität loswerden wollen. Doch bedeutet das, wir sollten uns der Nervosität bedingungslos „ergeben”, um sie nicht noch zu verstärken? Keineswegs. Aber wie bei anderen schwierigen Gedanken und Gefühlen können wir tatsächlich aus dem Kampfmodus aussteigen, um schließlich besser mit dem unerwünschten Erleben umgehen zu können.
Nervosität einladen, statt Nervosität bekämpfen
Eine lustige, jedoch sehr tiefgründige Bemerkung vom amerikanischen Philosophen Ralph Waldo Emerson lautet: „Wenn dich ein Hund verfolgt, pfeif ihn herbei.”
Das ist zwar nur eine Metapher, aber was würde passieren, wenn du diesen Hund tatsächlich zu dir pfeifst, obwohl er dich verfolgt und du dich eigentlich fürchtest? Vermutlich würde er dich weniger stören. Vielleicht würde die unangenehme Situation sogar zu einem Erfolgserlebnis für dich werden und du denkst: Dieser Hund hört auf mich.
Dazu bereit zu sein, alle Gefühle zu fühlen und auszuhalten, kann ein grundlegender Schritt zu mehr innerem Frieden sein. Aus der Angst vor Kontrollverlust kann eine Möglichkeit werden, deine innere Stärke zu entdecken, vielleicht sogar deinen Selbstwert zu stärken.
Mit dem psychologischen „Trick”, unangenehme Gefühle wie Nervosität einzuladen, anstatt mit aller Kraft fernzuhalten, kannst du praktisch gesehen also entspannter werden und oftmals Ruhe bewahren. Die folgenden 4 Schritte können dich dabei unterstützen.
4 Schritte, um Nervosität senken zu können
Der Gedanke, Nervosität zuzulassen, kann zunächst sehr beängstigend sein. Wir haben oftmals die Befürchtung, sie könnte uns dann überwältigen. Das würde sich nicht nur unangenehm anfühlen, sondern könnte auch Folgen haben: Wenn es zum Beispiel um Prüfungsangst geht, könnten wir vielleicht vor lauter innerer Unruhe einen Blackout erleben und durch die Prüfung sausen. Eventuell hast du sogar schon mal eine Panikattacke durch Stress erlebt. Natürlich gibt es keine Garantie dafür, dass das nicht (wieder) passiert. Doch vermutlich liest du diesen Artikel, weil deine bisherigen Versuche, Nervosität zu bekämpfen, nicht gut funktioniert haben. Wenn du daher bereit für einen neuen Weg bist, kannst du ihn mit diesen Schritten gehen:
1Situationen nicht vermeiden
Schiebst du die Anmeldung für deine Führerscheinprüfung auf? Meldest du dich bei der Arbeit nicht für den Vortrag, obwohl du dafür genug Expertise hast? Erfindest du Ausreden, um den Flug nicht zu buchen, obwohl du eigentlich mal ganz alleine reisen möchtest?
Häufig vermeiden wir bestimmte Situationen, um Nervosität aus dem Weg gehen. Leider verpassen wir dadurch auch neue Erfahrungen und können oftmals nicht das machen, was uns wichtig ist – langfristig kann das unsere Lebensfreude trüben. Wenn du dazu bereit bist, Nervosität zu fühlen, ist es ratsam, diese Situationen nicht mehr zu vermeiden: Mach das, was du willst und was dir wichtig ist. Vielleicht kannst du dabei sogar die Erfahrung machen, dass die Nervosität sinkt, je öfter du dich diesen herausfordernden Situationen stellst.
2Nervosität (in allen Facetten) wahrnehmen
Jetzt geht es darum, Nervosität in allen Details wahrzunehmen. Du kannst es dir vorstellen, wie wenn du einen Gegenstand, den du schon hundertmal gesehen hast, ganz genau inspizierst. Zum Beispiel ein Auto: Wie sind die Rillen im Reifen genau geformt? Wie fühlt sich die Handbremse an? Wie riecht das Lenkrad? Das klingt natürlich albern, aber genau so kannst du an die Nervosität herangehen:
Wo spürst du die Nervosität in deinem Körper? Welche Gedanken tauchen vorher, mit ihr oder danach auf? Wird sie von anderen Gefühlen begleitet? Wenn sie eine Farbe oder Form hätte, welche wäre das?
Es ist schon möglich, dass die Nervosität durch diese besondere Aufmerksamkeit zunächst etwas stärker wird. Wenn du sie länger beobachtest, wird sie allerdings immer mal wieder abnehmen oder sogar ganz verschwinden.
3Kommen und gehen lassen
Nervosität wahrzunehmen, bedeutet nicht, sie immer wieder absichtlich hervorzurufen. Wenn sie da ist, ist sie da, wenn sie weg ist, ist sie weg. Vielleicht kann dir das Mantra „Alles darf da sein” dabei helfen, diese offene Haltung zu bewahren.
Du kannst dir diese Einstellung auch wie eine Schwingtür vorstellen, durch die alle Gefühle und Gedanken hinein- und hinausgehen können, ganz wie es ihnen beliebt.
4Wenn alles zu viel wird
Wenn du Nervosität zulässt, geht es nicht darum, sie durchgängig unter Schweißausbrüchen zu ertragen. Wenn alles zu viel wird, kannst du deine Aufmerksamkeit bewusst auf etwas anderes lenken, zum Beispiel deine Atmung. Nimm einfach wahr, wie dein Atem in deinen Körper hinein- und wieder hinaus strömt. Wenn du dich bereit fühlst, kannst du deine Aufmerksamkeit wieder loslassen und vielleicht wird sie zur Nervosität zurückkehren. Die Aufmerksamkeit auf diese Weise zu steuern, braucht wahrscheinlich etwas Übung, kann aber sehr hilfreich sein.
Warum willst du Nervosität bekämpfen?
Auch wenn es dir mithilfe der 4 Schritte gelingt, besser mit Nervosität und vielleicht sogar mit weiteren unangenehmen Gefühlen umzugehen, kann es sich lohnen, die Ursachen der Nervosität zu erforschen. Denn während wir es in vielen Situationen für selbstverständlich halten, nervös zu sein, ist es das nicht unbedingt. Vor vielen Menschen zu sprechen, kann zum Beispiel im Kern mit Angst vor Ablehnung zu tun haben. Vielleicht erlebst du auch Versagensangst, Leistungsdruck oder legst allgemein Perfektionismus an den Tag. Letztendlich bietet Nervosität also auch die Möglichkeit zur Selbstreflexion, um dich selbst besser kennenzulernen.
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Quellennachweis
Harris, R. (2010). Wer dem Glück hinterherrennt, läuft daran vorbei: ein Umdenkbuch. Kösel-Verlag.
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